Einfach göttlich
die Schulter und lief davon.
Leute, die Lu-Tze nur als vage Gestalt hinter einem recht langsam fegenden Besen kannten, wären von seiner hohen Geschwindigkeit erstaunt gewesen. Es hätte sie noch viel mehr überrascht zu erfahren, daß Lu-Tze sechstausend Jahre alt war, sich in erster Linie von braunem Reis ernährte und nur grünen Tee mit etwas ranziger Butter drin trank.
Als ihn noch einige hundert Meter vom Haupttor der Zitadelle trennten, hielt er inne und begann wieder zu fegen. Er fegte sich in Richtung Tor und passierte es, nickte dem Wächter zu, der ihn zunächst argwöhnisch musterte und dann leise seufzte – von einem dummen alten Mann ging sicher keine Gefahr aus. Er putzte einen Torknauf, fegte dann durch Korridore und Kreuzgänge in Richtung von Bruthas Gemüsegarten.
Zwischen den Melonen hockte jemand.
Lu-Tze besorgte eine Decke und kehrte zum Garten zurück. Brutha saß dort, die Hacke quer auf den Knien.
Der Alte hatte viele von Kummer geprägte Mienen gesehen – sechs Jahrtausende geben dem Kummer ziemlich oft Gelegenheit, in Menschen Wurzeln zu schlagen. In Bruthas Gesicht fand er jedoch mehr als die durchschnittliche Niedergeschlagenheit.
Lu-Tze legte dem Bischof die Decke um die Schultern.
»Ich höre ihn nicht«, brachte Brutha heiser hervor. »Es bedeutet vielleicht, daß er zu weit entfernt ist. Daran muß ich dauernd denken. Möglicherweise befindet er sich irgendwo dort draußen, viele Kilometer entfernt!«
Lu-Tze lächelte und nickte.
»Bestimmt wiederholt sich jetzt alles. Das mit den Propheten, meine ich. Er hat nie irgendwelche heiligen Botschaften verkündet. Er hat nie irgend etwas getan. Wir Menschen sind ihm völlig gleichgültig gewesen!«
Lu-Tze nickte und lächelte erneut. Seine Zähne glänzten gelb. Zweihundertmal waren sie ihm ausgefallen und neu gewachsen.
»Er hätte Anteil nehmen, sich um uns kümmern sollen.«
Lu-Tze verschwand in seinem Schuppen und kam kurze Zeit später mit einer flachen Schale, die Tee enthielt, wieder zum Vorschein. Er nickte, lächelte und stieß Brutha sanft an, bis er schließlich einen Schluck trank. Die Flüssigkeit schmeckte nach heißem Wasser mit Lavendel.
»Du verstehst kein Wort von dem, was ich sage, oder?« fragte Brutha.
»Nicht viel«, erwiderte Lu-Tze.
»Du kannst sprechen?«
Der Alte hob einen faltigen Zeigefinger zum Mund.
»Großes Geheimnis«, sagte er.
Brutha musterte den kleinen Mann. Was wußte er von Lu-Tze? Gab es jemanden, der überhaupt etwas von ihm wußte?
»Du mit Gott sprechen«, sagte Lu-Tze.
»Wie kommst du darauf?«
»Gewisse Anzeichen. Wer spricht mit Gott rechnen muß mit schwierigem Leben.«
»Da hast du recht!« Brutha starrte über die flache Schale – eine Art Tasse – hinweg. »Was hat dich hierhergebracht? Du bist weder Omnianer noch Ephebianer.«
»Bin aufgewachsen in der Nähe von Mitte. Vor langer Zeit. Jetzt Lu-Tze ist ein Fremder überall. Besser so. Habe Religion gelernt in einem Tempel meiner Heimat. Jetzt dorthin gehen, wo Pflicht erfüllen muß.«
»Meinst du damit Misthaufen und das Zurechtschneiden von Pflanzen?«
»Ja. Bin nie gewesen Bischof oder wichtiger Mann. Gefährliches Leben. Bin immer gewesen jemand, der Kirchenbänke säubert und fegt hinter Altar. Niemand belästigt nützlichen Mann. Niemand belästigt kleinen Mann. Niemand erinnert sich an Namen.«
»So ein Leben wollte ich ja auch führen! Aber bei mir klappt’s einfach nicht!«
»Dann finde anderen Weg. Ich gelernt in Tempel. Von altem Meister. Wenn in Schwierigkeiten ich mich immer erinnern an weise Worte von altem und ehrwürdigem Meister.«
»Wie lauten sie?«
»Alter Meister sagen: ›Der Junge dort! Was du essen? Hoffentlich genug mitgebracht für alle.‹ Alter Meister sagen: ›Du ungezogener Junge! Warum nicht gemacht Hausaufgaben?‹ Alter Meister sagen: ›Warum Junge lacht? Wenn nicht sagen, warum Junge lacht, ganze Klasse muß nachsitzen!‹ Wenn sich erinnern an diese weisen Worte, nichts erscheinen mehr so schlimm.«
»Was soll ich unternehmen? Ich höre ihn nicht mehr!«
»Du tun müssen, was getan werden muß. Dir nichts anderes übrigbleiben als zu folgen eigenem Weg.«
Brutha schlang die Arme um die Knie.
»Er hat mir überhaupt keinen Rat gegeben! Wo verbirgt sich die ganze Weisheit? Die anderen Propheten kamen mit Geboten zurück!«
»Wo sie bekamen Gebote?«
»Ich… ich vermute, sie erfanden alles.«
»Du dir nehmen ein Beispiel an ihnen.«
» D as nennst du
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