Einfach göttlich
gleich.
Der Gott erklomm einen Ameisenhügel…
»Du wirst sterben! Der Tod droht dir!«
… und glitt auf der anderen Seite wieder nach unten.
S tunden vor dem Sonnenaufgang begannen die Vorbereitungen für die Amtseinführung des Zönobiarchen und Propheten. Ihr Anfang entsprach nicht ganz dem traditionellen Muster: Diakon Stichfest und einige seiner Kollegen durchsuchten den Tempel. Sie hielten dort nach Stolperdrähten Ausschau, stocherten mit langen Stöcken in dunklen Ecken, auf der Suche nach verborgenen Bogenschützen. Natürlich genoß der zukünftige Zönobiarch als Prophet den Schutz Gottes, aber Stichfest hielt es trotzdem für besser, kein Risiko einzugehen. Er schickte einige Einsatzgruppen in die Stadt, um die üblichen Verdächtigen zu verhaften. Es hatte sich für die Quisition als nützlich erwiesen, immer einige Verdächtige auf Vorrat zu halten – dann brauchte man nicht lange zu suchen, wenn man welche benötigte.
Im Anschluß an die Suche nach Fallen und versteckten Attentätern kamen mehrere einfache Priester, um mit speziellen Gebeten alle Dämonen, Teufel und Unheilsgeister aus dem Tempel zu vertreiben. Diakon Stichfest beobachtete sie stumm. Er hatte nie mit irgendwelchen übernatürlichen Wesenheiten zu tun gehabt, wußte aber, was ein gut gezielter Pfeil mit einem ahnungslosen Bauch anzustellen vermochte.
Jemand berührte ihn an der Seite. Er schnappte erschrocken nach Luft, als sich die Realität einen Weg in seine Überlegungen bahnte. Aus einem Reflex heraus griff er nach dem Dolch.
»Oh«, sagte er.
Lu-Tze nickte, lächelte, hob den Besen und gab dadurch zu verstehen, daß Diakon Stichfest auf einer Stelle des Bodens stand, die er, Lu-Tze, zu fegen wünschte.
»Hallo, du gräßlicher gelber Narr«, sagte der Diakon.
Nicken, lächeln.
»Sprichst nie, oder?« fragte Stichfest.
Lächeln, lächeln.
»Idiot.«
Lächeln, Lächeln. Beobachten.
U rn trat zurück.
»Bist du ganz sicher, daß du alles verstanden hast?« erkundigte er sich.
»Ja.« Simony saß im Sattel der Schildkröte.
»Wiederhol’s noch einmal«, forderte ihn Urn auf.
»Wir-schüren-das-Feuer-im-Kasten«, sagte Simony. »Dann-warten-wir-bis-die-rote-Nadel-auf-XXVI-zeigt. Dann-öffnen-wir-den-Messinghahn. Und-wenn-die-Bronzepfeife-pfeift-ziehen-wir-den-großen-Hebel. Und-wir-steuern,-indem-wir-an-den-Seilen-ziehen.«
»Ja.« Urn nickte, obwohl noch ein Rest Skepsis auf seinem Gesicht lag. »Dies ist ein Präzisionsinstrument«, betonte er.
»Und ich bin Berufssoldat«, erwiderte Simony. »Kein abergläubischer Bauer.«
»Gut, gut. Nun, wenn du ganz sicher bist…«
Sie hatten Zeit gefunden, um die Bewegliche Schildkröte noch mit dem einen oder anderen auszustatten. Der Panzer wies gezackte Kanten auf, und an den Rädern hatten sie lange Stahldornen angebracht. Hinzu kam das Rohr für den Dampf… In dieser Hinsicht regte sich vages Unbehagen in Urn.
»Es ist nichts weiter als ein Apparat«, meinte Simony. »Er stellt überhaupt kein Problem dar.«
»Na schön. Gib uns eine Stunde Zeit. Du solltest den Tempel genau dann erreichen, wenn wir das Portal öffnen.«
»Alles klar. Also los. Brich jetzt auf. Feldwebel Fergmen kennt den Weg.«
Urn sah noch einmal zum Dampfrohr. Er wußte nicht, wie es auf den Feind wirken würde, aber ihm jagte es einen gehörigen Schrecken ein.
B rutha erwachte. Besser gesagt: Er versuchte nicht mehr zu schlafen. Lu-Tze war fort. Vermutlich fegte er irgendwo.
Er wanderte durch die leeren Korridore des Novizenbereichs. Es dauerte noch Stunden bis zur Krönung des Zönobiarchen – vorher fanden Dutzende von Zeremonien statt. Alle wichtigen Personen (beziehungsweise jene Leute, die sich für wichtig hielten) würden sich auf den verschiedenen Plätzen am Tempel versammeln. Zu ihnen gesellte sich die anonyme Masse der Unwichtigen und Bedeutungslosen.
Brutha kam an leeren Kapellen vorbei, in denen nun keine Gebete gesprochen oder gesungen wurden. Man hätte den Eindruck gewinnen können, daß sich niemand mehr in der Zitadelle befand – wenn nicht eine Art stummes Dröhnen im Hintergrund gewesen wäre, verursacht von mehreren zehntausend schweigenden Menschen. Sonnenschein fiel durch lange Lichtschächte.
Nie zuvor hatte sich Brutha so allein gefühlt. Im Vergleich mit seinen derzeitigen Empfindungen schien er in der Wüste an einem Fest teilgenommen zu haben. Gestern abend… Gestern abend in der Gesellschaft von Lu-Tze… Dabei schien alles völlig klar
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