Einfach göttlich
Leuten.
Die ganze Zeit über wehte von der Wüste her Sand herein. Er sammelte sich an den Stufen und auf den Höfen, trotz der Bemühungen eines ganzen Heers mit Besen bewaffneter Novizen.
Die Beine einer Schildkröte taugen nicht viel.
»Du sollst niedrigere Stufen bauen«, zischte der kleine Gott Om und erkletterte die erste Barriere.
Nur einige Zentimeter entfernt donnerten Füße an ihm vorbei. Dies war einer der wichtigen Verbindungswege in der Zitadelle. Er führte zum Platz der Klage; Tausende von Pilgern eilten hier täglich entlang.
Gelegentlich prallte eine Sandale an den Panzer der Schildkröte, stieß sie hierhin und dorthin.
»Eure Füße sollen sich vom Körper lösen und fortfliegen, um in einem Termitenhügel zu enden!« heulte Om.
Dadurch fühlte er sich ein wenig besser.
Wieder traf ihn ein Fuß, und er rutschte durch den Gang, prallte wenige Sekunden später gegen ein metallenes Gitter ganz unten in der Wand. Aus einem Reflex heraus biß er zu, und nur deshalb glitt er nicht durch die Öffnung. Nun hing er – nur von kräftigen Kiefern gehalten – über einem Keller.
Schildkröten haben ausgesprochen starke Kiefermuskeln. Oms Beine zitterten kurz, doch ansonsten geschah nichts. Nun, an so etwas war eine Schildkröte gewöhnt, die in einer von vielen Spalten durchzogenen Felsenlandschaft überleben mußte. Man hakte ein Bein hinter…
Geräusche weckten Oms Aufmerksamkeit. Metall klapperte, und leises Wimmern erklang.
Om drehte den Kopf.
Das Gitter befand sich hoch in der Wand eines sehr langen und tiefen Raums. Mehrere Lichtschächte erhellten ihn.
Die meisten Schächte dieser Art hatte Vorbis der Zitadelle hinzugefügt. Damit die Inquisitoren nicht im Schatten arbeiteten, sondern im Licht.
Damit sie ganz deutlich sehen konnten, womit sie sich beschäftigten.
Om sah es ebenfalls.
Eine Zeitlang hing er am Gitter und konnte den Blick nicht von dem abwenden, was unten geschah.
Unter normalen Umständen hielt Vorbis nicht viel davon, rotglühende Eisenstangen, mit Spitzen ausgestattete Ketten, Bohrer und Dinge mit Schrauben dran zu verwenden. Solche Werkzeuge waren in erster Linie dazu bestimmt, an einem wichtigen Fastentag dem Publikum vorgeführt zu werden. Für die meisten Fälle genügten einfache Messer, fand er.
Doch viele Inquisitoren hielten an den alten Arbeitsmethoden fest.
Nach einer Weile spannte Om die Kiefermuskeln und zog sich langsam hoch. Vorsichtig hakte er die Vorderbeine hinter Gitterstangen und wirkte dabei sehr konzentriert. Mehrere Sekunden lang traten die Hinterbeine ins Leere, bis eine Kralle poröses Gestein berührte.
Es blieb anstrengend, doch schließlich ließ der kleine Gott Om das Gitter hinter sich.
Langsam kroch er fort und blieb jetzt dicht an der Wand, damit er den Füßen aus dem Weg gehen konnte. Nun, in seiner gegenwärtigen Gestalt blieb ihm gar nichts anderes übrig, als langsam zu sein, aber jetzt wanderte Om noch langsamer als sonst. Weil er nachdachte. Den meisten Göttern fällt es schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen und dabei gleichzeitig nachzudenken.
J eder durfte den Platz der Klage aufsuchen. Dabei handelte es sich um eine der großen Freiheiten des Omnianismus.
Es gab viele Möglichkeiten, wie man sich mit Petitionen an den Großen Gott Om wenden konnte. Es kam im Prinzip nur darauf an, wieviel man sich leisten konnte – und das war nur richtig und genau wie die Dinge beschaffen sein sollten. Immerhin: Wer im Weltlichen Erfolg hatte, genoß zweifellos das Wohlwollen des Großen Gottes – es war unvorstellbar, daß jemand gegen Oms Willen erfolgreich war. Aufgrund einer ähnlich beschaffenen Logik konnte auch die Quisition irrtumsfrei arbeiten. Der Verdacht lieferte den Beweis. Wie sollte es auch anders sein? Der Große Gott ließ in Seinen Exquisitoren die Saat des Argwohns keimen, weil Er es für angemessen hielt. Das Leben konnte recht einfach sein, wenn man an den Großen Gott Om glaubte. Manchmal war es auch sehr kurz.
Doch immer gab es die Sorglosen, Dummen und jene, die aufgrund von mangelnder Voraussicht in diesem oder einem früheren Leben nicht einmal genug Geld besaßen, um sich etwas Weihrauch zu leisten. In Seiner Weisheit und Gnade, die er mit Hilfe der Priester den Gläubigen schenkte, hatte Er für solche Fälle Vorsorge getroffen.
Auf dem Platz der Klage durfte man Gebete und flehentliche Bitten vortragen. Sie wurden garantiert ge- und vielleicht sogar er hört.
Hinter dem Platz – er bildete
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