Einfach sexy
Bälle. Für einen langen Augenblick
stand er reglos da. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, seine Handflächen schwitzten.
Relax, Chapman.
Konzentrier dich.
Durch das Geäst sah er den Mount Franklin, der in den wolkenlosen Himmel von West-Texas ragte. Der Golfplatz erstreckte sich davor wie ein grüner Teppich, Reihen knorriger Weiden und Pappeln trennten die einzelnen Löcher. So kannte Jesse es seit frühester Jugend. Das war seine Welt, eine andere Lösung für sein augenblickliches Handikap konnte es gar nicht geben.
Er ließ die Bälle auf den samtweichen Rasen fallen und schwang den Putter mehrmals zur Probe. Dann blickte er noch einmal zu den Bergen, bevor er alles um sich herum ausblendete, tief einatmete und ausholte. Der Kontakt durchzuckte ihn wie ein Stromstoß, während er beobachtete, wie der Ball auf die kleine Flagge zurollte. Er konzentrierte sich so intensiv darauf, dass er den Herstellernamen lesen konnte, bis der Ball schließlich ins Loch rollte.
Er atmete hörbar aus, kniff die Augen zusammen. Nicht schlecht.
Nacheinander versenkte er zwei Bälle im Loch.
Die innere Spannung ließ langsam nach, und er beglückwünschte sich selbst zu seiner Entscheidung, hergefahren zu sein. Nirgends eine Kamera. Keine Fans, die überzogene Erwartungen an ihn stellten.
Jesse trat zu dem letzten Ball und holte tief Luft. Jemand rief von fern seinen Namen. Sekundenlang erstarrte er, doch dann fasste er sich wieder. Souverän schwang er den Schläger, spürte den Kontakt, worauf der Ball in Richtung Loch rollte, langsamer wurde, den Rand umkreiste und mit einem leisen Klicken hineinging. Treffer. Fünf von fünf. Nicht schlecht für den Anfang. Aber das kurze Spiel war nicht das Problem. Das Problem lag auf der Driving Range.
Bevor sich jemand zu ihm stellen konnte, nahm Jesse seine Sachen und lief zur Ballmaschine. Er holte sich einen Eimer Bälle und beschloss, den Erfolg mit Driver und Neunereisen zu wiederholen.
Die anderen Golfer ignorierend, umklammerte er den Eimergriff und strebte dem Parcours zu. Eine Flucht war jedoch unmöglich. Innerhalb von Minuten drängte sich eine Menschenmenge um ihn, er konnte kaum noch atmen. Als jemand brüllte, er solle die Bäume hinter der 300-Yard-Marke ins Visier nehmen, zuckte Jesse entgeistert zusammen. Die Leichtigkeit von El Paso war vorbei, genau wie die Hoffnung auf eine einfache Lösung seines Problems in diesem Golfclub.
Schon seit frühester Jugend hatte er bei Frauen – beim Sex – Ablenkung gesucht. Das pulsierende Adrenalin in seinen Venen und die Befriedigung lähmten seinen grübelnden Verstand für ein paar Minuten oder auch Stunden. Eigenartigerweise hatte er die Zerstreuungen und Ersatzbefriedigungen von seinem Vater gelernt. Zuerst war es eine Zigarette. Dann ein Drink, nachdem Carlen und Jesse angefangen hatten, gemeinsam Golf zu spielen. Erst einer, dann zwei Drinks in den obligatorischen Golfbars.
Am Abend seines dreizehnten Geburtstags hatte er schließlich die einschneidende Erfahrung gemacht, die ihn völlig veränderte. Sein Vater hatte ihn mit einer seiner vielen Freundinnen allein gelassen, von der er in die brennenden Geheimnisse seines Körpers eingeweiht wurde. Es hatte beinahe geschienen, als wäre diese Nacht zwei Jahre lang von Carlen geplant gewesen.
Derek war außer sich geraten vor Zorn, als die Frau aus Jesses Zimmer kam. Carlen Chapman hatte gelacht und Jesse nicht anders zu reagieren gewusst, als sich schützend vor seinen Vater zu stellen. Was, wenn Derek den Nachbarn, die nach dem Tod der Mutter gelegentlich vorbeigeschaut hatten, davon erzählte? Würden sie seinen Vater abholen, auf dass er und
Derek ganz alleine wären? Gerade aus Angst vor dem Verlust des Vaters hatte Jesse ja an dessen Leben Anteil genommen: Hätte diese gute Absicht gerade das Gegenteil davon bewirken können?
Er wusste keine Antwort auf diese Frage, hatte vielmehr den Vater seitdem immer in Schutz genommen.
Jesse schnellte herum. Mehrere Leute winkten ihm zu. Frauen schenkten ihm jenes einladend-verheißungsvolle Lächeln, das ihn mittlerweile anwiderte.
Ganz klar, dass er sein Training würde abbrechen müssen. Die geringste Störung, und er würde den Schlag verziehen. Er durfte einfach nicht riskieren, dass jemand seine schlechte spielerische Verfassung bemerkte.
Verdammter Mist.
Er quälte sich ein Lächeln ab und verbeugte sich höflich.
»Tut mir Leid, Leute, aber mir ist eben eingefallen, dass ich noch einen anderen Termin
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