Einkehr zum toedlichen Frieden
und
überquere pflichtschuldig die Straße.
»Hat er eine Leine?«, frage ich, als sie mir den Hund zuschiebt.
»Wahrscheinlich hängt die neben der Haustür. Aber die brauchst du
auch nicht, wenn du mit ihm ins Jelände gehst. Nur auf der Straße solltest du
ihn festhalten.«
»Welches Gelände?«
»Das Verbotsjelände«, sagt sie lächelnd. »Wo früher die
Munitionsfabrik stand. Weißt schon, da wo deine Urgroßeltern jearbeitet haben.
Und die vom Gerd auch. Aber das Jelände ist jetzt wieder frei zugänglich. Auch
wenn noch überall Verbotsschilder stehen. Der Gerd ist da immer mit Linus
jelaufen. Ich zeig’s dir.«
Sie hält den Hund am Halsband fest und läuft mit mir ein paar
Schritte weiter nach Deutschland hinein.
»So, jetzt sind wir in Rheinland-Pfalz«, sagt sie plötzlich und
deutet auf ein Schild.
»Und wo waren wir grad eben?«, frage ich verwirrt.
»In NRW. NORDRHEIN-WESTFALEN. Die Kehr
ist die Grenze.«
»Ich dachte, sie gehört zu Belgien.«
»Die Staatsgrenze läuft durch die Kehr hindurch. Der deutsche Teil gehört
zur Gemeinde Hellenthal in NRW.
Und direkt daran grenzt Rheinland-Pfalz, Hallschlag. Dat jehört zum Kreis Daun,
auch wenn das für uns fast so weit weg wie Köln ist. War eine dumme
Jemeindereform, die Hallschlager haben sich sehr geärgert, dass sie nicht mehr
zu Prüm gehören. Nur noch polizeilich.«
»Hallschlag. Wo meine Großeltern gewohnt haben«, erinnere ich mich.
»Richtig. Der Laden von denen war in Halzech – so nennen wir
Hallschlag hier. Und da sind wir jetzt.« Ihr Finger deutet immer noch auf das
kleine weiße Schild.
» ACHTUNG «, lese ich laut vor, » für diesen Bereich gilt die Gefahrenabwehrverordnung der VGV Obere
Kyll vom 27.06.2002. Gefahrenabwehrverordnung?«, frage ich entsetzt.
»Was bedeutet das denn?«
»Dat wir hier vor ein paar Jahren alle fast in die Luft jeflogen
wären«, sagt sie genüsslich. »Altlasten aus dem Ersten Weltkrieg.«
»Dem Ersten?«
»Ja, wegen der Munitionsfabrik. Die ist doch explodiert. Kurz nach
dem Ersten Weltkrieg, aber den Ärger haben wir heute noch. Lange Jeschichte.
Jiftjasgranaten und so. Erzähle ich dir ein andermal. Jetzt macht mich ganz was
anderes fertig.« Sie dreht sich um und deutet auf ein nicht sonderlich hohes
zweiflügliges Windrad direkt neben uns. Endlich begreife ich, wo das undefinierbare
Schwirrgeräusch herkommt, das mir bei meiner Ankunft aufgefallen ist.
»Verstärkt meine Migräne. Ist vielleicht sogar schuld daran.«
»So ein mickriges Windrad habe ich noch nie gesehen«, bemerke ich
erstaunt. »Bringt das überhaupt was?«
»Dem Besitzer schon. Erste Jeneration Windräder, wurde ordentlich
subventioniert. Und stört viel mehr als die großen Dinger da drüben. An die
haben wir uns jewöhnt. Na so was, lieber das als ein Atomkraftwerk in der
Nachbarschaft. Da stirbste dran.«
Sie führt mich an einem sehr gepflegten Hof vorbei, mit einem Gehege
voller springender Tiere, die ich nicht definieren kann, die mich aber
irgendwie an Rehe erinnern, biegt eine Straße rechts ein und deutet dann nach
links zu einem dreistöckigen, an einem Wäldchen gelegenen schlichten weißen
Haus.
»Dat war früher unser Zollhaus«, erläutert sie. »Später hat da die
Familie Dellwo mit vielen Kindern jewohnt, die hatten’s janz schön schwer, die
Dellwos, du weißt schon Karl-Heinz Dellwo, der RAF-Terrorist, von dem die Zeitungen voll waren. Heute
wohnen da janz normale Leute drin. Und rechts davon, da ist dat Verbotsjelände.
Da war früher ein Zaun, jetzt kannste aber rein. Ist völlig unjefährlich.«
»Und warum Verbotsgelände?«, frage ich misstrauisch.
»Na, weil man doch Angst hatte, Terroristen würden da alte Granaten
ausbuddeln.«
»Wieso hat man die nicht entsorgt?«
»Die Terroristen?«
»Die Granaten.«
»Waren zu viele. War zu teuer. Man hat dat Zeug in der Erde
gelassen, ein verzinktes Maschendrahtgeflecht drüberjelegt, darauf eine dicke
Schicht Lava und Erde und dann Mutterboden und den neu bepflanzt.«
»Einfach den Deckel draufgemacht?«, frage ich ungläubig.
»Genau. Jedeckelt. So hieß es damals auch. Du glaubst ja gar nicht,
was sich hier alles abjespielt hat.« Fine Mertes fasst sich an den Kopf. »Meine
Migräne kommt bestimmt auch von dem Jiftjas«, sagt sie stöhnend.
»Giftgas?« Wird wirklich Zeit, dass ich erfahre, was hier abgegangen
ist! Giftgas klingt noch ungesünder als Fliegerbombe. Oder Atomkraftwerk.
»Ja. 1990, als das Gelände saniert werden sollte,
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