Einmal auf der Welt. Und dann so
Soldaten nicht vorstellen. Gerda bleibt auf und wartet, bis Lore vom Manöverball nach Hause kommt. Sepp würde ihr eine Ohrfeige geben, käme sie heim. Aber Sepp lebt nicht mehr.
Ich höre sie O du schöner Westerwald singen. Draußen vor der Tür bei der Viehwaage zwischen den zwei Kastanien mit den anderen, die dafür noch zu jung sind, als stünden wir vor dem Leben.
Bald ist Richtfest. Der Zimmermann spricht hoch oben von einem langen Leben.
»Man muss beim Bauen auch ans Abreißen denken«, sagt noch ein anderer der Flüchtlinge.
Zeitvertreib
Die kleine Dreckig spielt mit den Italienern Karten. Wenn sie merken, dass die Dreckig sie betrügt, bricht sie das Spiel ab und nennt die Italiener Ganoven und Weibsbilder. Nach einer Weile kommt sie wieder aus der Küche. Die Italiener haben »Weibsbilder« nicht verstanden. Sie setzt sich auf den Schoß von Gigi. Das geht nur, weil sonst keine Weibsbilder im Lokal sind. Die Dreckig will Siebzehn und vier spielen. Die Italiener wollen nicht. Sie streckt die Zunge heraus und geht in die Küche. Nach einer Weile kommt sie wieder und läuft zur Musikbox. Sie will eine Mark von Gigi. Gigi will die Egerländer nicht hören. Sie sagt: »Wenn die nicht spielen können, dann verstehe ich nichts von Musik. Die Italiener verstehen nichts von Musik«, plärrt sie durchs Lokal. Sie wirft einen Hausschuh in Richtung Stammtisch. Die Dreckig will Geld für den Zigarettenautomaten. Sie greift in ihre Mantelschürze und findet kein Kleingeld. »Sie ist geil wie Nachbars Lumpi«, flüstert Krössing, der Flüchtling. Wer geht mit ihr nach oben? Die Dreckig geht voraus. Sie lässt die Rollläden runter. Sie macht es mit der Hand. Von draußen sieht man, dass sie am helllichten Tag die Rollläden runtergelassen hat. Die Dreckig ist evangelisch. Sie ist erst seit kurzem hier. Die Gesundheitspolizei entfernt das Schild Gutbürgerliche Küche. Auch offenes Bier verboten. Nur noch Flaschenbier und kalte Platte. Die Dreckig hat Zulauf. Und weil sie hochdeutsch spricht und keiner weiß, woher sie kommt, sagt man, »die Dreckig ist auch ein Flüchtling«. Nur Lumpenziefer um sie herum. Rese heißt sie, mit Pferdeschwanz. Die Italiener bleiben bald weg.
Gigi ruft ihr »Tomate« nach, wenn er an ihrem Lokal vorbeifährt. Jetzt kommen die Leute von der Hochspannungsleitung, die schon Hitler gebaut hat. Sie wird neu gestrichen. Sonst hat die Dreckig wenig Zulauf. Kein Wunder, sie wohnt auch etwas außerhalb.
In Pfullendorf lebte sie auch schon. Dort hieß sie nur »Die Stadtmatratz«.
Die Dreckig hat einen halben Zentner abgenommen. Wer an der Bahnhofswirtschaft vorbeifährt und die Dreckig da auf der Treppe sitzen sieht, denkt: Mein Gott!
Dr. Biesele sagt ihr: »Sie leben zu gut! Sie sollten etwas für Ihre Gesundheit tun!« Weil keiner merkte, dass sie einen halben Zentner abgenommen hat, will sie nicht mehr abnehmen. Wenigstens so lange nicht, wie sie in Sentenhart ist.
Die Dreckig sagt, Sentenhart, die ganze Gegend sei das Langweiligste, was man sich vorstellen könne, und nimmt ein Langnese Cornetto aus der Tiefkühltruhe. Sie sei die längste Zeit hier gewesen.
»Jetzt gehe ich zu meinen Kaninchen«, sagt sie.
Ans Haus angebaut der Hasenstall. Die Dreckig mit dem Saukübel auf dem Weg zu den Kaninchen. Sie öffnet den Verschlag und wirft den Küchenabfall in den Hasenstall. Sie kehrt wortlos ins Lokal zurück und verdreht die Augen. Gigi ist mit seinem Simca vorbeigefahren und hat nicht einmal gehupt. Stöhnt sie, ist es die Hitze.
Sie mache nichts aus ihrem Typ, behauptet ihre Schwester. Die Dreckig fährt ihr übers Maul, »Schlampe«, flucht sie durch die Durchreiche.
Wenn nichts los ist, sitzt sie auf der Treppe vor der Wirtschaft und wartet, bis etwas los ist.
Ich sehe die Dreckig auf der Treppe sitzen. Sie kennt mich nur vom Vorbeigehn. Sie ruft mich und verlangt eine Zigarette. Ich sage, »Ich rauche nicht«. »Tomate«, ruft sie mir nach. »Manche leben wie ein Tier«, sagt Strittmatter. Die Dreckig kommt sonntags nicht in die Kirche, bleibt im Bett liegen, ist evangelisch, hat keinen Gott, will weg von hier, denkt an ein Lokal in einem Garnisonsort, Stetten am Kalten Markt, zum Beispiel.
Für Sterben sagt sie »das letzte Mal scheißen«.
Die Dreckig ist nicht von hier. Sie hat die Bahnhofswirtschaft in Sentenhart gemietet. Nachts rennt sie ihren Italienern nach, bis auf die Straße, und ruft ihnen »Ich will meine zwanzich Mark« hinterher.
Wenn sie zumachen
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