Einmal rund ums Glück
unvermittelt von der Fensterbank auf, dass meine Mutter zusammenfährt.
»Wo willst du hin?«
»In mein Zimmer.«
»Doch nicht schon wieder schlafen?«
»Warum nicht?«, fahre ich sie an. »Hast du ein Problem damit?«
Sie antwortet nicht, und ich stürze beleidigt aus dem Raum, gehe sogar so weit, wie ein trotziges Kind meine Zimmertür zuzuschlagen. Ich bin vielleicht sechsundzwanzig, aber im Moment fühle ich mich deutlich jünger.
Ich nehme mein Handy vom Nachttisch und mache mich auf die Suche nach dem Kabel, um es aufzuladen. Wo zum Teufel haben die Angestellten es hingelegt? Irgendwann finde ich es in der obersten Schublade meines Kleiderschranks, sauber zusammengerollt und mit einer Schnur gebunden. Ich ziehe sie ab und finde den amerikanischen Adapter, dann stöpsel ich das Kabel ein, schalte das Telefon an und warte, bis das Display aufleuchtet. Da wären wir. Die Mailbox …
»Sie haben neun neue Nachrichten …«
Abspielen.
»Hi, Daisy, ich bin’s, Holly. Ich wollte nur wissen, ob du gut zu Hause angekommen bist. Ruf doch mal an …«
»Hi, Daisy, ich bin’s, Holly. Wie geht es dir? Ruf doch mal an …«
»Hi, Daisy, ich bin’s, Holly. Du bist bestimmt vollauf damit beschäftigt, dich wieder ins New Yorker Stadtleben einzufinden, aber ich würde mich echt freuen, mal kurz mit dir zu sprechen und zu hören, wie es dir geht. Du fehlst mir. Ruf doch zurück …«
»Hi, Daisy, ich bin’s wieder, Holly. Bist du da? Ich hoffe, ich habe überhaupt die richtige Nummer. Nein, sie muss stimmen, ich habe sie ja auch benutzt, als du hier warst. Ach, was erzähle ich da? Ruf mich doch einfach an, wenn du kannst.«
»Daisy? Ich bin’s, Holly. Guckst du mal dein Handy nach? Ruf mich bitte an.«
»Hi, ich bin’s nur, ich mache mir Gedanken, wo du bist und was du so treibst …«
Und so weiter und so fort. Schuldgefühle steigen in mir auf, als ich ihre Stimme höre. Ich hätte sie längst anrufen sollen. Das werde ich wiedergutmachen.
Cazzo
, wie spät ist es jetzt in England? Zehn Uhr. Zu spät? Nein …
Ring, ring, ring …
Scheiße, ist wahrscheinlich doch zu spät.
Ring, ring, ring …
Soll ich auflegen?
Ring, ring, ring …
Wahrscheinlich habe ich sie eh schon geweckt. Wenn ich jetzt auflege, wird sie richtig sauer sein.
Ring …
Hat das Telefon auch einen Anrufbeantworter, oder was?
»Hallo?« Scheiße. Sie hört sich verschlafen an.
»Holly? Tut mir leid, habe ich dich geweckt?«
»Daisy? Daisy!« Sofort ist sie wach. »Endlich rufst du an! Hast du meine Nachrichten bekommen?«
»Leider erst jetzt.«
»Ich hab dich ungefähr zwanzigmal angerufen!«
»Neunmal, um genau zu sein.«
»Da sind die Male nicht mitgezählt, wenn ich einfach aufgelegt habe …«
»Oh. Es tut mir leid.«
»Was hast du so gemacht? Wie läuft es bei dir?«
»Ach, weißt du … es geht so.«
»Nein, weiß ich nicht. Erzähl mir alles! Was hast du so getrieben? Wie geht es dir?«
»Hm, ich sehe halt, dass ich was zu tun habe, treffe mich mit alten Freundinnen, so was eben. Und ich gehe shoppen. Ständig.«
»Geil! Aah, ihr habt da doch Banana Republic praktisch an jeder Ecke, oder? Mensch, bin ich neidisch!«
»Hm, stimmt.« Da bin ich noch gar nicht gewesen. Ich war nur in Designerläden, sonst nirgends, aber das behalte ich für mich. »Was ist mit dir? Wie läuft es so?«
»Gut, gut …«
Vögelst du immer noch mit Simon? Nein, das frage ich sie nicht.
»Hey, was soll ich eigentlich mit deinen Koffern machen?«, fragt sie. »Du hast mir keine Adresse gegeben, soll ich sie dir vielleicht jetzt schicken?«
»Ach, Holly, hast du genug Platz für die Sachen in deinem Haus?«
»Klar, natürlich.«
»Ach, eigentlich kannst du auch alles spenden.«
»Soll das ein Witz sein?«, höhnt sie. »Ich kann doch nicht deine ganzen Sachen verschenken!«
Ich verrate ihr nicht, dass ich hier mehr als genug »Sachen« habe.
»Und, was ist so passiert?«, frage ich.
»Am Wochenende fahren wir nach Deutschland, und Pierre, der Testfahrer, hat Wills Position übernommen –«
»Davon will ich nichts hören«, unterbreche ich sie barsch. Mir wird schwindelig.
»Oh.«
»Tut mir leid. Ich … ich kann einfach nicht.«
»Schon gut«, sagt sie verständnisvoll.
»Wie geht es Pete und Dan?«, will ich wissen.
»Ach, weißt du, ganz in Ordnung«, erwidert sie. »Bloß Luis –«
»Von Luis will ich auch nichts hören.« Mein Ton ist hart.
»Ach so. Gut.«
Schweigen.
Ich wechsle das Thema:
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