Einmal rund ums Glück
»Habe ich dich geweckt?«
»Ähm … Nein, ich hab nur so gedöst.«
»Ist jemand bei dir?«
»Was?« Sie klingt erschrocken. »Nein, nein, ich bin ganz allein, Holly allein zu Haus.«
Aha. Das heißt, Simon ist bei ihr.
»Na, dann lass ich dich mal weiterdösen.«
»Gut. Hab mich total gefreut, deine Stimme zu hören. Du hast mir so gefehlt.«
Mir wird ganz warm. »Du fehlst mir auch.« Doch nachdem ich aufgelegt habe, ist mir sofort wieder kalt.
Aus Juli wird August, und in New York wird es brütend heiß. Ich bleibe zu Hause, in der klimatisierten Wohnung, so weit es meine Langeweile erlaubt, und ansonsten gehe ich einkaufen oder ins Kino. Gestern habe ich den ganzen Nachmittag im Guggenheim Museum verbracht, saß vor den Gemälden und versuchte, mich in den abstrakten Farben zu verlieren.
Holly meldet sich noch ein paarmal bei mir – meistens verpasse ich ihre Anrufe und rufe selten zurück, aber bald werde ich wieder mit ihr sprechen. Ich rege mich immer noch darüber auf, dass sie sich mir nicht so anvertraut hat, wie ich mich ihr.
Na ja, alles habe ich ihr auch nicht erzählt. Sie weiß bis heute nichts über mein Leben in Amerika und über Johnny, aber darum geht’s auch gar nicht. Nein? Nein, das ist ganz was anderes. Egal …
An einem Tag Anfang August zappe ich durch die Fernsehprogramme und kippe fast von der Couch, als ich auf ein Interview mit Luis stoße. Es ist ein ausländischer Sender, deshalb verstehe ich nicht viel von dem, was gesprochen wird, aber Luis macht einen niedergeschlagenen Eindruck. Ich will es abtun, rede mir ein, er habe bestimmt sein letztes Rennen verloren, doch tief in mir weiß ich, dass es nicht stimmt. Stundenlang beschäftigt mich das Interview. Schließlich rufe ich Holly an.
»Hallo!« Sie klingt erfreut, von mir zu hören. »Wie geht’s dir?«
»Mir geht’s gut«, erwidere ich. »Hab gerade Luis im Fernsehen gesehen.«
»Ja?«
»Ja. Er sah gar nicht gut aus. Stimmt da was nicht?«
»Ich dachte, du willst nichts von Luis hören?« Ich antworte nicht. Sie spricht weiter: »Ehrlich gesagt, geht es ihm nicht gerade gut.«
»Wie, gewinnt er nicht mehr, oder was?«, frage ich sarkastisch.
»Das ist es nicht«, widerspricht Holly. »Daisy, beim letzten Rennen ist er ausgestiegen.«
»Ausgestiegen? Was soll das heißen?« Ich bin verwirrt. »War das in Ungarn?« Der Große Preis von Ungarn folgt auf den in Deutschland.
»Ja«, bestätigt sie.
»Was ist denn passiert?«
»Tja, vorher tönte er herum, dass er das Rennen für Will gewinnen würde.«
»Das kann ich mir vorstellen«, werfe ich gehässig ein.
Holly fährt fort: »Aber er bekam es einfach nicht auf die Reihe. Er hat verloren, Daisy. Wills Tod hat ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. Er gibt sich selbst die Schuld daran.«
»Das kann er auch, verdammt nochmal!«, explodiere ich. »Es war nämlich wirklich seine Schuld!«
»Daisy, das stimmt nicht«, mahnt Holly ruhig. »Die FIA « – das ist der Dachverband der Formel 1 – »hat das ganz genau untersucht.«
»Aber die FIA weiß nicht, dass Luis ihn vor dem Rennen als Schwein beschimpft hat, oder?« Ich lasse Holly gar keine Zeit zum Antworten. »Davon hat doch keiner einen Schimmer! Wie lief es dann in Deutschland?«
»Fast genau so schlimm«, erklärt Holly. »Beim Qualifying kam er auf Platz sechs –«
»Das ist ja wohl nicht schlecht«, werfe ich ein.
»Aber er kam nicht gut vom Start weg und wurde ständig überholt. Am Ende wurde er Dreizehnter.«
»O man! Da wird sich Simon ja nicht gerade gefreut haben.«
»Simon hat Verständnis«, erwidert Holly.
»Führt er denn immer noch die Meisterschaft an?«
»Nein, er ist auf Platz drei gerutscht.«
»Tja, Pech für ihn.«
»Daisy, sei doch nicht so hart zu ihm …«
»Wieso nicht? Er hat Will umgebracht! Er hat ihn auf dem Gewissen!« Mein Kopf fühlt sich an, als würde er unter dem Druck anschwellen. Ich breche in unkontrolliertes Schluchzen aus.
»Daisy, Daisy, es tut mir leid …« Holly versucht mich zu trösten, aber mir ist nicht mehr zu helfen. Ich muss einfach nur weinen.
O Gott, ich will ihn nur zurück. Ich würde alles dafür geben, wenn er zurückkäme.
»Warum musste er sterben?«, heule ich. »Er fehlt mir, Holly, er fehlt mir so sehr!«
»Ach, Daisy …«
Irgendwann beruhige ich mich und atme mehrmals tief durch. Keine von uns beiden sagt etwas.
»Geht’s wieder besser?«, fragt Holly dann.
Ich hole noch mal tief Luft und versichere ihr, dass
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