Einmal rund ums Glück
Holly ewig lang nur mein Schluchzen.
Irgendwann beruhige ich mich. »Ich muss auflegen«, sage ich verdrießlich.
»Es tut mir so leid, Daisy.« Hollys Stimme klingt rau, so als hätte sie auch geweint.
»Schon gut«, flüster ich. Dann lege ich auf.
Kurz darauf klopft es an meiner Zimmertür. Ich sage nichts. Die Tür öffnet sich leise, und als ich aufblicke, steht meine Mutter dort.
»Daisy? Ist alles in Ordnung?«
»Nein, nein, ist es nicht.« Ich schüttel den Kopf und starre verzweifelt auf den Teppich.
»Was ist denn?«, fragt sie leise.
»Lass mich einfach in Ruhe«, sage ich zu ihr und werfe mich aufs Bett. »Hau ab!«, rufe ich verärgert, als sie keine Anstalten macht zu gehen. Kurz darauf höre ich, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fällt. Dann bin ich wieder allein.
Kapitel 21
»Er denkt ernsthaft darüber nach.«
Ich telefoniere mit Holly. Es ist eine Woche nach dem Großen Preis von Europa, und sie hat mir gerade erzählt, dass Simon tatsächlich in Erwägung zieht, Luis durch einen anderen Fahrer zu ersetzen. Er schnitt beim Qualifying schlecht ab und fuhr nach einem dummen Fehler beim Start in den Wagen von Naoki Takahashi.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Luis das antun würde.« Ich bin verärgert.
»Daisy, er ist ein Geschäftsmann, er muss das tun, was das Beste fürs Team ist«, mahnt Holly vernünftig.
»Ja, aber ist das denn wirklich das Beste fürs Team? Möchte das Team wirklich einen Ersatz für Luis?«
»Na ja …« Sie zögert. »Wahrscheinlich nicht.«
»Genau! Alle mögen Luis! Das Team würde es nicht ertragen, noch einen Fahrer zu verlieren!« Tränen steigen mir in die Augen. Schnell wische ich sie fort.
Nach meinem letzten Gespräch mit Holly habe ich kurz im Internet nachgesehen, ob noch andere aus der Branche sich Gedanken über Simons Absichten bezüglich Luis machten. Ich stieß auf ein Foto von allen Fahrern vor dem Rennen in Deutschland. Sie hatten sich die Arme um die Schultern gelegt und hielten eine Schweigeminute für Will ab. Mehrere Fahrer – Kit Bryson, Nils Broden, Antonio Aranda – hatten Tränen in den Augen, doch Luis war der Einzige, der den Kopf gesenkt hielt, weil er nicht in die Kamera sehen konnte.
Ich weiß nicht, wie er überhaupt wieder Rennen fahren kann … Das ist das Schwerste an der ganzen Sache, hier wie in jedem anderen Sport: weitermachen, wenn einer von den eigenen Leuten gestorben ist.
»Hast du ihm ausgerichtet, was ich dir gesagt habe?«, frage ich Holly.
»Wem? Luis?«, fragt sie.
»Ja.«
»Was war das noch mal?« Holly klingt schuldbewusst.
»Hast du also nicht.«
»Tut mir leid, hab ich vergessen.«
»Schon gut. Aber richtest du ihm bitte liebe Grüße von mir aus?«
»Na, klar«, erwidert sie herzlich.
Einige Tage später melde ich mich wieder bei Holly. »Hast du mit Luis gesprochen?«, will ich wissen.
»Ob ich ihm liebe Grüße ausgerichtet habe?«, fragt sie nach.
»Ja.« Ich grinse.
»Nein, hatte noch keine Möglichkeit dazu.«
Oh.
»Ich habe ihn nicht im Hauptquartier gesehen«, erklärt sie. »Wieso rufst du ihn nicht einfach an?«
»O nein, das kann ich nicht«, wiegel ich ab.
»Warum nicht?«
»Nein! Das geht einfach nicht.«
»Na, dann sage ich ihm halt, dass du an ihn denkst.«
»Er darf also noch fahren, ja?«
»Ja. Noch«, erwidert sie unheilvoll.
»Belgien ist als Nächstes dran, oder?«
»Ja. Nächste Woche.« Pause. »Hast du noch mal drüber nachgedacht zurückzukommen?«
»Nein«, erwidere ich.
»Du fehlst mir hier wirklich«, sagt sie erneut.
»Du fehlst mir auch.«
»Frederick hat noch letztens nach dir gefragt. Er meinte, du könntest deinen Job jederzeit zurückhaben, wenn du wolltest. Simon hat das auch gesagt.«
»Echt? Haben sie keine Neue für mich eingestellt?«
»Angestellte von Frederick und Ingrid aus London haben ausgeholfen, aber niemand Festes. Seit du weg bist, bin ich für Simon und die Fahrer zuständig, aber ich räume den Platz gerne wieder für dich.«
»Das wäre nicht nötig.«
»Nein?«
»Nein. Ich würde nicht mehr so eng mit den Fahrern arbeiten wollen, wenn …« Ich verstumme. Fast hätte ich gesagt: »Wenn Will nicht mehr da ist.«
»Das verstehe ich«, sagt Holly und fügt dann flehentlich hinzu: »Ach, Daisy, kommt doch bitte zurück!«
Kurz schließe ich die Augen, klemme das Telefon zwischen Ohr und Schulter und lausche einfach nur ihrer Stimme. Holly fehlt mir so sehr. Von hier aus mit ihr zu sprechen, ist einfach nicht
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