Einmal rund ums Glück
gestorben.«
»Sonst hätten sie hier nicht übernachtet.«
»Nonna, du bist so dreist!«, rufe ich.
»Manchmal muss man auf eine kleine Notlüge zurückgreifen«, erwidert sie leichthin. Ich kann nicht fassen, dass sie so etwas sagt. In ihrem Alter! Sie ist zweiundachtzig!
»Und warum wolltest du unbedingt, dass sie hier übernachten?«, frage ich.
»Damit sie mehr Zeit mit dir haben, natürlich.«
»Aber
warum
?«
»Du brauchst einen Mann!«, platzt es aus ihr heraus.
»Was?
Nonna, was soll das denn jetzt? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter!«
»Komm mir nicht mit solchen Sprüchen, junge Dame. Ich weiß schon, was das Beste für dich ist.«
»Tja, Will hatte aber schon eine Freundin«, erkläre ich ihr.
»Ja, das weiß ich«, sagt sie, als sei es völlig nebensächlich.
»Woher weißt du das?«, frage ich überrascht. Von mir bestimmt nicht.
»Das konnte man sehen«, erwidert sie. »Aber von so was soll man sich nicht aufhalten lassen.«
»Nonna!« Jetzt bin ich empört. »Nie im Leben hätte ich mich darauf eingelassen, seine Geliebte zu sein.« Doch noch während ich das sage, nagt ein kleiner Zweifel an mir. Ich blicke auf meine Fingernägel.
»Wusstest du, dass Nonno kurz vor der Verlobung mit einem anderen Mädchen stand, als ich ihn kennenlernte?«
»Nein.« Ich setze mich auf.
»Doch«, sagt sie. »Aber sie liebten sich nicht. Das konnte man sehen. Es wäre eine Vernunftehe gewesen. Um die Eltern zufriedenzustellen. Als Carlo und ich uns zum ersten Mal sahen …« Sie verstummt, verliert sich in Gedanken. Dann sieht sie mich wieder an. »Wir waren füreinander bestimmt, dein Großvater und ich. Man kann aber nicht immer auf das Schicksal warten, man muss selbst nachhelfen.«
»Und das hast du getan?«, frage ich.
»Ja«, sagt sie mit Nachdruck.
Mir gefällt die Vorstellung nicht so recht, dass meine Großmutter einer anderen Frau den Mann genommen hat, doch sie wirkt alles andere als reumütig. Und wenn sie das nicht getan hätte, wäre ich jetzt schließlich nicht hier.
»Na, das ist ja jetzt alles Geschichte«, sage ich traurig und denke an Will.
»Nein«, widerspricht sie heftig. »Luis ist immer noch da.«
»Nonna, ich will aber nichts von Luis!«
»Warum nicht? Er passt besser zu dir als der andere.«
»Nein, das stimmt nicht! Außerdem liebe ich Will immer noch, ich kann gar nicht an jemand anders denken.«
»Lass dir Zeit«, sagt sie weise. »Die ganze Sache braucht Zeit.«
Ich verdrehe die Augen, belasse es aber dabei.
Nonna steht auf, verlässt die Küche und holt die Töpfe und Pfannen vom Vorabend zurück. Wasser plätschert darin, als sie diese zur Spüle trägt und dann ausschüttet.
»Nonna, warum lässt du dir nicht von meiner Mutter helfen und die Wände reparieren?« Ich folge ihr ins Wohnzimmer und bringe die letzten Töpfe in die Küche.
»Weil ich es nicht möchte«, sagt sie barsch, nimmt den nächsten Topf und schüttet das aufgefangene Wasser in den Abfluss.
»Warum bist du nur so stur?«, beschwere ich mich, und sie wirft mir über die Schulter einen grimmigen Blick zu. Dann setzt sie sich wieder an den Tisch.
Ich geselle mich zu ihr. »Mutter hat mir in New York etwas erzählt«, beginne ich. »Über meinen Vater.« Vorerst werde ich das Thema Renovierung zurückstellen.
»Aha?«
»Über Andrea …«
»Andrea?« Sie wird argwöhnisch.
»Also, ich weiß nicht, ob er mein leiblicher Vater ist oder nicht …«
Nonna reißt die Augen auf.
»Und Mutter auch nicht.«
Ein wissender Blick. »Aha.«
»Hat sie dir das nie erzählt? Hattest du nie einen Verdacht?«
Sie überlegt, ehe sie antwortet. »Sie hat mir nichts gesagt, aber ich hatte schon den Verdacht. Als sie deinen Vater verließ und nach Hause zurückkehrte, verbrachte sie viel Zeit mit Andrea. Und kurz nachdem sie zu Stellan zurückging, wurde sie schwanger. Für mich ging es ein bisschen
zu
schnell.«
»Hast du mal was gesagt?«
»Was sollte ich denn sagen? Ich habe ihr geraten, nicht zu deinem Vater zurückzugehen, sondern bei mir und deinem Großvater zu bleiben, aber sie hat sich anders entschieden.«
»Und was ist mit Andrea? Wusste er, dass meine Mutter schwanger war?«
Nonna blickt auf den Tisch hinunter. »Ja.«
»Und er hat trotzdem nicht versucht, sie aufzuhalten? Oder herauszubekommen, ob das Kind – also ich – von ihm war?«
Meine Großmutter antwortet nicht.
»Scheinbar nicht.« Ich bin enttäuscht von diesem Mann, wie auch immer er war.
»Er war zu stolz,
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