Einmal rund ums Glück
sie nicht so verheult aussieht.
Ich ziehe meine Uniform an, und kurz darauf kommt Holly aus dem Bad.
»Fertig?«
»Besser geht’s nicht.«
Es ist ein unwirkliches Gefühl, so spät am Nachmittag zu arbeiten. Beim Qualifying sehe ich so gut wie niemanden vom Mittagessen – ich weiß nicht, ob es Zufall ist oder ob man mir aus dem Weg geht, doch ich bin erleichtert. Holly und ich sehen von den Boxen aus zu, wie Luis sich die Pole-Position sichert, bis Kit Bryson, der momentan die WM -Wertung anführt, sie ihm wieder abnimmt. Dennoch ist das Team in Hochstimmung, weil Luis beim Start in der ersten Reihe steht.
Es ist Renntag – Rennabend sollte man wohl besser sagen –, und ich bin zum Start in den Boxen. Die Strecke wird von Flutlicht beleuchtet, so dass fast Tagesbedingungen herrschen und es für die Fahrer nicht so gefährlich ist. Die Atmosphäre hier mit der beeindruckenden Silhouette der Stadt und dem blau, rosa und gelb leuchtenden Riesenrad, dem
Singapore Flyer
, im Hintergrund ist umwerfend.
Als Holly und ich kamen, saß Luis an einem Tisch hinten in der Garage. Sein Wagen stand schon auf dem Startfeld, doch er schien es nicht eilig zu haben, nach draußen zu gehen. Ich wollte zu ihm rüber und mit ihm reden, doch sein Gesichtsausdruck war so ernst und entschlossen, dass ich ihn nicht ablenken wollte. Dann stand er auf, streifte weiße Ohrstöpsel ab und marschierte aus der Garage zur Boxenmauer. Ich hatte keine Ahnung, dass er Musik hört. Ich würde gerne wissen, ob er das vor jedem Rennen macht. Früher war ich immer so mit Will beschäftigt, dass ich nie sonderlich auf Luis geachtet habe.
Sein Start läuft hervorragend, er überholt Kit Bryson noch vor der ersten Kurve und kann sofort einen gewissen Abstand zu seinen Verfolgern aufbauen. Doch als er nach dem ersten Drittel einen Boxenstopp einlegen muss, geht etwas bei der Betankung schief. Der Tankstutzen hakt beim Herausziehen, und als Luis losfährt, schleppt er den armen Dan mit sich. Luis merkt, dass etwas nicht stimmt, und hält sofort an. Dan ist zum Glück unverletzt, früher haben sich Mechaniker in vergleichbaren Situationen schon den Arm gebrochen. Schnell wird klar, dass der Zwischenfall Luis auf den vierten Platz zurückgeworfen hat. Was nun folgt, ist eines der spannendsten und aufregendsten Rennen, das ich je erlebt habe. Nacheinander überholt Luis Antonio Aranda und Nils Broden. Der nächste Boxenstop läuft glatt, kurz darauf ist Luis wieder Kit Bryson auf den Fersen.
»Frederick bringt uns um«, ruft Holly, um den Lärm der Motoren zu übertönen. Schon vor einer halben Stunde hätten wir im Gästebereich sein sollen.
»Mir egal!«, rufe ich zurück, und sie kichert.
»Mir auch!«
Die letzte Runde ist die alles entscheidende. Luis hat weniger als eine halbe Sekunde Abstand auf Kit. Ob Kit einen Fehler macht? Ob Simon Luis anweist, hinten zu bleiben, um nicht noch einen Unfall zu riskieren? Wenn ja, dann ignoriert Luis ihn, denn er schert plötzlich hinter Kit aus, und alle in der Garage halten den Atem an, als er die Kurve nimmt. Sie sind so nah nebeneinander, dass sie sich jeden Moment berühren müssten! Aber nein! Luis schafft es! Die schwarz-weiße Flagge weht in der Ferne, als Kit noch einmal versucht, sich den ersten Platz zurückzuerobern, doch es gelingt ihm nicht. Luis ist zu schnell. Ich jubel stolz, als er die Ziellinie überquert. Alle um mich herum fallen begeistert mit ein. Holly nimmt mich in die Arme. Kurz muss ich an Will denken, doch ich verdränge ihn. Ich kann jetzt nicht an ihn denken. Ich will nicht an ihn denken.
Wir laufen nach draußen und warten, dass Luis, Kit und Nils mit den Wagen kommen. Luis springt heraus und reckt die Faust. Er läuft direkt zu den Mechanikern hinüber. Ich will, dass er mich hier sieht, wie ich mich mit den anderen freue und lache, doch er schaut nicht in meine Richtung. Als er hineinflitzt, um sich vor der Siegerehrung wiegen zu lassen, bekomme ich kurz ein flaues Gefühl im Magen. Wenige Minuten später taucht er auf dem Podium auf, klatscht und winkt in die Menge. In der Luft liegt der Lärm von Pfeifen und Tröten. Es herrscht eine total freudige Stimmung. Man hat das Gefühl, als ständen alle Zuschauer hinter Luis und seinem unglaublichen Gewinn.
Die Nationalhymnen werden gespielt, alle verstummen. Dann werden die Pokale überreicht. Luis küsst seinen und hält ihn in die Luft, wir jubeln ihm zu, und dann ist es Zeit für den Champagner … Luis, Kit und Nils
Weitere Kostenlose Bücher