Einsame Herzen
entweder Gabel oder Messer fallen, verschüttete Wasser oder bekleckerte ihren Pullover. Darko verlor kein Wort über ihre Ungeschicklichkeit, doch Danielle wusste genau, dass sie ihm nicht entging. Zweifelsohne wusste er auch um den Grund für ihre Nervosität. Er hatte seine ausstehende Entschädigung jedoch mit keinem Wort mehr erwähnt, was Danielle nur noch nervöser werden liess. Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, blieb ihr Herz sekundlang stehen. Das war der Moment, in dem sie dachte: Heute. Heute würde Darko einfordern, was ihm seiner Meinung nach zustand.
Inzwischen war eine Woche verstrichen, ohne dass Darko auf seiner Gegenforderung bestanden hätte. Danielle seufzte leise. Sie wagte nicht, Darko zu fragen, wann er... seine Entschädigung einfordern wollte. Erstens wollte sie nicht übereifrig erscheinen, zweitens hoffte sie insgeheim, er würde ihre Abmachung vergessen haben oder auf seinen Teil des Übereinkommens verzichten. Doch das war natürlich reine Illusion. Darko hätte niemals den Grossmut besessen, auf seine Entschädigung zu verzichten.
Die vergangenen Abendessen mit Darko am Tisch waren sehr still verlaufen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen und Danielle selbst war auch nicht nach höflichem Geplänkel zumute gewesen. Sie war zwar gut im Smalltalk und hatte reichlich Übung darin, doch sie spürte, dass Darko kein Interesse daran hatte, mit ihr über den Schnee zu plaudern.
Bei jeder Mahlzeit jedoch hatte Danielle Darkos eindringlichen Blick auf sich gespürt. Doch sie hatte den Blickkontakt mit Darko stets vermieden, hatte sich entweder auf ihre Töchter oder ihren Teller konzentriert. Stets hatte sie verkrampft auf ihrem Stuhl gesessen und inständig gehofft, dass Darko sein Essen so schnell wie möglich beenden, aufstehen und verschwinden würde.
Inzwischen war es Anfang Dezember. Der Schneefall hatte sich eingestellt, doch der Schnee lag in einer zwei Meter hohen Decke schwer über dem Land. Emma und Louise waren tagelang damit beschäftigt gewesen, einen Pfad durch den Garten zu schaufeln. Auch jetzt waren die Kinder draussen, bauten kurz vor dem Abendessen noch einen Schneemann. Danielle war froh, dass es aufgehört hatte zu schneien. So konnten sich Emma und Louise endlich wieder draussen vergnügen. Obwohl kein Schnee mehr fiel, war es nach wie vor unmöglich, den Feuerberg zu verlassen. Die hohe Schneedecke machte den Pfad zwischen den Felsen unpassierbar. Er liess sich auch nicht ohne weiteres freischaufeln, zog er sich doch über eine halbstündige Strecke Fussmarsch. Bis sie den Felsenpfad freigelegt hätte, wäre der Winter auch vorüber. Es gab also nach wie vor kein Entkommen aus ihrer Gefangenschaft, keine Fluchtmöglichkeit vor Darko.
Heute war der siebte Abend, an dem er mit ihnen essen würde, dachte Danielle, als sie den Tisch deckte. Abend für Abend hatte er ihr nach dem Essen knapp zugenickt und war verschwunden, sobald er den letzten Bissen verdrückt hatte. Natürlich war sie darüber sehr erleichtert, doch gleichzeitig wurde sie mit jedem Abend angespannter. Hatte er seine Forderung etwa vergessen?
Das wagte sie zu bezweifeln. Er war einsam hier oben. Sie alle, die hier am Felsenberg hausten, waren letztendlich einsam. Auch Darko hatte den Berg seit mindestens einem Monat nicht mehr verlassen können, was hiess, dass er während der letzten vier Wochen mit Sicherheit nicht mit einer Frau zusammen gewesen war. Darko versuchte, den Winter hier oben so gut wie möglich über die Runden zu bringen, genau wie sie selbst. Seine Winterwünsche waren letztendlich genauso basal wie ihre, nur dass sein Wunsch zum Überleben nicht nötig war. Na, ja, nicht zum unmittelbaren Überleben auf jeden Fall.
Als Danielle den Tisch gedeckt hatte, zog sie ihren Pullover aus. Den Weg, der ihre Gedanken genommen hatten, hatte sie erhitzt. Ausserdem brannte im Wohnzimmer ein knisterndes Feuer und tauchte den ganzen Raum in angenehme Wärme. Ihre blaue Bluse würde ihr also genügen.
Danielle ging ins Bad, warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Sie kämmte rasch ihr Haar und strich ihre Bluse glättend zurecht. Dann hielt sie inne, als hätte sie sich selbst bei etwas Verbotenem ertappt. Mit grossen Augen musterte sie sich im Spiegel. Was tat sie da? Wieso kämmte sie sich das Haar? Wieso rückte sie ihre Bluse zurecht? Wieso empfand sie es überhaupt für nötig, vor dem Abendessen einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen?
Vielleicht,
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