Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einsame Spur (German Edition)

Einsame Spur (German Edition)

Titel: Einsame Spur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
Vom Netzwerk:
der mattbraunen Haut. Sie brauchte dringend Sonne, musste Farbe bekommen. Brenna hatte im Internet alte Fotos von Alice Eldridge gefunden, eines hatte ihr Partner beim Klettern aufgenommen, als sie sich abseilte. Man sah die Muskeln an den Beinen, mit denen sie sich gegen die Wand stemmte, sah das strahlende Lächeln und die brünetten Locken, deren unerwartet blonde Spitzen sich unter dem Helm hervordrängten.
    Ganz anders war der Anblick der benommenen Frau auf dem Krankenlager.
    Doch die Augen, die sich jetzt öffneten und ihn ansahen, waren dieselben. So dunkel, dass man die Pupille fast nicht von der Iris unterscheiden konnte. Er wartete auf eine Reaktion, die auch bald erfolgte. »Gardist«, sagte sie. »Früher mal.«
    »Sie erinnern sich.« Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie irgendetwas von ihrem kurzen Gespräch behalten würde.
    »Ich habe geglaubt«, sagte sie mit rauer, ungeübter Stimme, »Sie wären ein Traum.«
    Judd holte sich einen Stuhl und setzte sich neben das Bett. »Erinnern Sie sich an früher?« Lara und die anderen waren enttäuschend zugeknöpft, seit Alice erwacht war, und verschanzten sich hinter dem Arztgeheimnis. Doch Alice besaß ein unglaubliches Wissen, das in ihrem Kopf eingeschlossen war – ein Wissen, das Sienna in der Zukunft brauchen würde. Alice war die einzige Autorität im Bezug auf X-Mediale, die es auf der ganzen Welt gab.
    Ein tiefer Atemzug und dunkle Augen, die nach rechts wanderten.
    Judd folgte dem Blick und sah eine Wasserflasche. Er ergriff sie und hielt den Strohhalm an Alices Lippen. Sie saugte zweimal, dann ließen ihre Lippen den Strohhalm los. Erst als er die Flasche wieder zurückgestellt hatte, sagte sie: »Meine Erinnerungen sind wie ein zerbrochenes Kaleidoskop.«
    »Aber Sie wissen, was ein Kaleidoskop ist.«
    Ein schwaches Lächeln erschien auf dem zu breiten Mund. Auf dem Foto waren die Proportionen perfekt gewesen, das Lächeln hatte das ganze Gesicht erfasst. Aber zu dem Schädel aus Haut und Knochen passten die vollen Lippen nicht recht. »Ja«, sagte sie. »Ist schon eigenartig mit dem Gehirn. Ich habe mich verloren, die Welt aber behalten.«
    Selbst so geschädigt war ihre Intelligenz unverkennbar. Wie Alice wohl sein würde, falls sie jemals wieder ganz sie selbst wäre? »Wissen Sie, wann?« Mehr als hundert Jahre waren vergangen, seit Alice in den Kälteschlaf versetzt worden war.
    »Ja.« Ein Bekenntnis von tiefem Verlust. »Ich hatte Eltern. An sie erinnere ich mich. Sie sind lange tot.« Einfache Worte, die eine unumstößliche Tatsache ausdrückten.
    »Das tut mir leid.« Etwas an Alice brachte ihn auf den Gedanken, dass sie »zu ihnen gehörte«, obwohl die Wissenschaftlerin doch ein Mensch war und aus vergangenen Zeiten stammte. Vielleicht lag es daran, dass sie versucht hatte, die Parias ihrer Gattung zu erforschen.
    Der Schmerz in Alices Zügen wich nun stiller Erkenntnis. »Sie wollten mich brechen«, sagte sie. »Wie jeder Pfeilgardist.«
    »Ich brauchte ihr Wissen.«
    Alice senkte die Wimpern, ihre Brust hob und senkte sich. »Eigenartig, dass ich mich an die Gardisten erinnere.«
    »Vielleicht waren sie das Letzte, was Sie gesehen haben.« Seine Vorgänger in der Garde konnten sehr wohl ihre Entführer gewesen sein.
    Auf ihrer Stirn erschienen Falten. »Nein«, flüsterte sie, »Zaid hätte nie zugelassen, dass sie mich in einen Kasten sperren.«
    Za-iid.
    Alice sprach den Namen perfekt aus. Das erstaunte Judd. Zaid Adelaja hatte die Garde ins Leben gerufen, war selbst der erste Gardist gewesen, ein Telepath mit grimmigen Fähigkeiten im geistigen Zweikampf. »Sie kannten Zaid?« Das war unmöglich – wenn er das Datum von Zaids Tod noch richtig im Kopf hatte, konnten sich die Lebenszeiten des Gardisten und von Alice nicht überschnitten haben.
    Finger krallten sich in die Decke. »Ich glaube schon.«
    Erinnerungsfetzen, rief er sich ins Gedächtnis, sicher war sie nicht gesund genug, um zu lügen. »Sie werden sich schon erinnern.«
    »Sie scheinen sicherer zu sein als die nette Heilerin mit den schwarzen Locken.« Alice hielt kurz inne, berührte mit den Fingern die Kappe auf dem rasierten Kopf. »Ich hatte auch Locken. Mit unterschiedlichen Farben – denn das Blond meines Vaters und das Schwarz meiner Mutter hatten sich vermischt.« Sie senkte die Hand und starrte an die Wand, ihr Blick ging ins Leere.
    Judd fragte sich, was sie wohl sah, schwieg jedoch. Druck würde Alice nicht dazu bringen, sich zu erinnern, ganz egal,

Weitere Kostenlose Bücher