Einsame Spur (German Edition)
Er hätte sie einholen können – der Duft nach zerstoßenen Beeren und Eis war in jeder einzelnen Zelle seines Körpers. Er wäre ihr auch durch tosenden Wind und Hagel und Schnee gefolgt. Doch er konnte ihr jetzt nicht nachjagen.
Jetzt nicht.
Denn er wusste nicht, wie er sie von einer Liebe überzeugen sollte, die inzwischen ein Teil von ihm war, die Liebe zu seiner reizbaren, großzügigen und wunderschönen Adria.
»Verdammter Mist.« Er schlug mit der Faust auf die steinerne Wand der Höhle, schürfte sich die Haut auf und hinterließ eine Blutspur. Doch er bemerkte es kaum. Statt in besitzergreifender Wut aufzuheulen, biss er die Zähne zusammen und nahm den Wolf an die Leine – der vor Zorn und Schmerz die Krallen ausgefahren hatte. Dann verließ er die Höhle auf demselben Weg wie Adria.
Er musste nachdenken, sich einen Plan zurechtlegen. Denn er würde sie auf gar keinen Fall gehen lassen. Sie war die seine, hatte ihm ihr Herz geschenkt. Und er würde es seiner Kaiserin nicht aus lauter Großzügigkeit zurückgeben. Es gehörte ihm, verdammt noch mal, und er würde es behalten.
Er unterdrückte all seine Urinstinkte und lief in die entgegengesetzte Richtung, trieb sich so gnadenlos voran, dass seine Brust vom schweren Atmen schmerzte. Doch er lief weiter, bis die Luft in den Bergen dünner wurde, der Himmel im Feuer des Sonnenuntergangs aufflammte und die körperliche Erschöpfung ihn zum Stehenbleiben zwang. Er stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab und schnappte nach Luft.
Es war keine große Überraschung für ihn, dass plötzlich ein großer Wolf mit silbrig goldenem Fell zwischen den Bäumen auftauchte. Hawke war nicht nur Leitwolf, weil er stärker und schneller als die anderen Wölfe in der Höhle war – er hatte auch die Führung, weil er seine Leute genau kannte. Riaz fuhr sich mit der Hand durch das schweißnasse Haar, lief zu einem kleinen, vom Schmelzwasser der Berge gespeisten Bach und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Es war wie ein Schock.
Als Hawke sich neben ihm verwandelte, sah er nicht hin. Was nichts damit zu tun hatte, dass der Leitwolf nackt war – nackte Körper nach der Verwandlung gehörten zum Leben der Gestaltwandler und waren nicht weiter bemerkenswert –, sondern weil er mit niemandem sprechen wollte. »Ich muss allein sein.« Nur Adria durfte bei ihm sein, wann immer sie wollte. Alle anderen sollten sich lieber fernhalten.
Hawke ließ sich nicht abschrecken. »Nell hat gesehen, wie du mit der Faust auf die Wand geschlagen hast – sie meinte, du hättest dir vielleicht etwas gebrochen, ohne es zu bemerken. Was ist passiert, verdammt noch mal?«
Der Zorn in Riaz brauchte ein Ventil. »Ich hab gesagt, du sollst mich allein lassen.« Um den Wunsch zu unterstreichen, verwandelte er sich und fletschte die Zähne.
Im Nu war Hawke auch wieder ein Wolf und starrte Riaz an. Doch der war nicht in der Stimmung für Dominanzspielchen. Knurrend warf er sich mit ausgefahrenen Krallen auf Hawke.
Blut spritzte, als sie aufeinanderprallten.
62
Zehn Minuten später kühlte sich Riaz erneut das Gesicht mit Wasser und zuckte zusammen. Ein Riss über einem seiner Augen blutete stark, und er hatte das Gefühl, als sei das Jochbein gebrochen, obwohl es wahrscheinlich nur geprellt war. Sein einziger Trost war, dass auch Hawke nicht so einfach davongekommen war – obwohl er Riaz am Ende zu Boden geworfen und ihm die Zähne ins Nackenfell geschlagen hatte.
»Du bist wütend«, sagte der Leitwolf. »Das macht dich unaufmerksam.«
Riaz schnaubte und streckte die Finger aus. »Übrigens hat Nell sich geirrt. Gebrochen ist nichts.« Doch die Hand war rot und schmerzte, die Knöchel waren zerschrammt.
»Können wir jetzt miteinander sprechen?«
»Verprügelst du immer deine Offiziere, damit sie mit dir reden?«
Hawke lachte herzlich. »Kannst ja mal bei Gelegenheit Riley fragen.« Der Leitwolf strich durch das Fell eines der wilden Wölfe, die während des Kampfes Wache gestanden hatten, dann sah er Riaz an. »Geht es um Adria?«
Riaz war nicht nur ein einsamer Wolf, weil er es liebte, allein zu sein. Er vertraute Leuten nicht gerne an, was ihn bewegte, schwieg lieber. Doch jetzt brauchte er die Hilfe des Leitwolfs. Er atmete tief durch und erzählte ihm alles.
»So ein Mist, Riaz«, sagte Hawke, als Riaz fertig war. »So ein verdammter Bockmist.«
»Sag mir, dass du eine Lösung hast.« Hawke war der Einzige in der Höhle, dem eine einfallen könnte. »Ich
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