Einst herrschten Elfen
Hohepriester Lorius nicht direkt antworten. Er ist ein ula , den ich achte; und ich bin stolz, ihn meinen Freund nennen zu dürfen«, fuhr Jarinn fort. »Allerdings werde ich euch sagen, was ich glaube, und dann sollt ihr selbst entscheiden, ob meine Überzeugungen der heutigen Harmonie würdig sind. Wollt ihr mich anhören?«
Ein paar verächtliche Rufe wurden laut, doch die meisten Anwesenden schwiegen respektvoll.
»Danke. Zunächst will ich erklären, was Takaar für uns bedeutet. Er bedeutet, dass wir zwölfhundert Jahre lang Frieden hatten. Er bedeutet, dass die Blutfehde eine ferne Erinnerung geworden ist. Er bedeutet, dass wir in einer Gesellschaft leben, die alle Linien umfasst und danach strebt, sie gleich zu behandeln. Warum wollt ihr das zerstören? Lorius sagt, Takaar habe durch sein Versagen dazu beigetragen, dass die Ynissul die Herrschaft an sich reißen wollen. In diesem Punkt irrt er sich. Ich stehe hier vor euch als Hohepriester von Yniss und sage euch, dass die Ynissul euch nicht zu dominieren wünschen. Ich selbst wünsche es nicht. Ich will meinem Gott, meinem Volk und unserem wundervollen Land dienen. Wenn Takaars Gesetz uns überhaupt etwas gelehrt hat, dann die Tatsache, dass wir eins sind. Als Krieg führende Linien können wir nicht überleben. Schaut euch an, wie die Bevölkerung während der Harmonie gewachsen ist. Schaut euch an, wie viel stärker alle unsere Götter sind. Schaut euch an, wie viel mehr wir heute wissen. Die Tempel quellen über vor Schriften. Unser Regenwald schenkt uns alles, was wir brauchen, um gesund zu bleiben. Die Zusammenarbeit hat uns Behaglichkeit in Geist und Körper gewährt. Warum sollte man das zerstören?«
Jarinn hielt inne. Er betrachtete die Zuhörerschaft, die ihn anstarrte. Inzwischen waren alle völlig still. Jarinns Stimme hatte etwas Hypnotisierendes. Er sprach nicht einmal sehr laut. Das war auch nicht nötig. Katyett wusste, was jeder ula und jede iad in der Kammer empfand. Alle hatten das Gefühl, Jarinn spräche zu ihm oder ihr allein.
»Takaar war schon immer ein Rätsel. Die meisten von euch sind ihm wahrscheinlich nie begegnet und haben ihn erst recht nicht handeln sehen. Es hat nie einen Elf gegeben, der ihn an Tapferkeit übertreffen konnte, und es wird nie einen geben. Zweihundert und mehr Jahre, bevor einer von uns hierherreiste, und lange bevor Takaar das Tor öffnete, entdeckte er bereits den Weg zu unserer Rettung. Er war der Erste, der öffentlich seine Liebe für jeden Elf erklärte, der unter dem Angesicht unserer Götter auf dem Land wandelte. Er war es, der zum Kern des Konflikts vorstieß und uns die eigene Dummheit erkennen ließ. Die Blutfehde – ein großes Wort, aber wir rangen lediglich darum, wer am längsten lebte. Wir hätten auch wegen der Größe unserer Hände oder unserer Haarfarbe kämpfen können. Diese Dinge unterliegen nicht unserer Kontrolle. Ich habe mich nicht bewusst dafür entschieden, als Ynissul geboren zu werden, und Lorius ist nicht absichtlich als Tuali zur Welt gekommen. Es sind Zufälle. Bist du verflucht, wenn du ein Gyalan und damit relativ kurzlebig bist? Nein. Du kannst eine Reinheit der Seele erfahren, die keinem Ynissul je zugänglich sein wird. Darin liegt die Freude. Fragt irgendeinen Menschen aus dem Norden, ob er eine Lebensspanne von vierhundert Jahren und mehr als kurz bezeichnen würde. Die kurzlebigen Menschen beneiden uns wegen unserer langen Lebenserwartung. Ihre Glut erlischt sehr schnell, oder nicht? Wenn ihr Menschen wärt, könntet ihr dann verstehen, dass wir uns wegen so etwas streiten?«
Gelächter brandete in der Kammer auf.
»Takaar hat uns gelehrt, uns mit allen Unterschieden zu schätzen. Wir sollten unsere Kräfte einsetzen, um uns gegenseitig zu helfen, und nicht, um uns zu entzweien. Damit hatte er doch Erfolg, oder? Ja, er war erfolgreich. Dies ist es also, was Takaar und sein Gesetz uns gebracht haben. Zwölfhundert Jahre des Friedens, der Harmonie und des Verständnisses. Vergesst das nicht. Es ist eine Wahrheit, die man nicht bestreiten kann.«
Jarinn hielt abermals inne und betrachtete die Menge.
»Nun zu dem, was sich vor einem Jahrzehnt ereignet hat, zu dem Grund, warum wir alle hier sind, statt uns draußen an der Schönheit des Landes zu erfreuen. Takaar hat versagt. Sein Mut verließ ihn an diesem schicksalhaften Tag. Viele Elfen verloren ihr Leben. Auch das kann niemand bestreiten. Aber bedenkt eines – in den vierzig Tagen, bevor Takaar versagt hat,
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