Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Atomzerfall«, eine von Menschen bewirkte »Atomzermalmung« voraussetzen, und für diese Möglichkeit liegt bis heute auch nicht das leiseste Anzeichen vor. Den Atomzerfall können wir nur beobachten, wo die Natur selbst ihn uns darbietet, wie beim Radium, dessen Aktivität auf dem dauernden, explosiven Zerfall seiner Atome beruht. »Allein, wir können diesen Vorgang nur feststellen, nicht hervorrufen, und bei dem heutigen Stand der Wissenschaft erscheint es so gut wie ausgeschlossen, daß wir dazu jemals gelangen könnten.«
Wenn wir fähig sind, aus der Kohlensubstanz ein gewisses Maß von Kalorien und damit an Nutzleistung herauszuholen, so müssen wir uns vergegenwärtigen, daß die Verbrennung nur einen Molekularprozeß bedeutet, eine Umordnung im Gefüge, welche die Atome, aus denen die Moleküle bestehen, völlig intakt läßt. Bei der Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff bleibt der Urbestandteil, das Atom, gänzlich unversehrt. Jene Berechnung, »Masse, mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit«, würde aber nur dann technisch verfolgbar sein, wenn wir das Atom selbst inseinem inneren Bestand anzugreifen vermöchten. Wofür, wie gesagt, zurzeit nicht die geringste Aussicht besteht.
Es wäre denkbar, diesem ersten Argument, dem bald noch ebenso bedeutungsvolle folgen sollen, aus der Geschichte der Technik Gegenargumente vorzuhalten. Denn tatsächlich, die gestrenge Wissenschaft hat manches für unmöglich erklärt, was die Technik späterhin als erfüllbar hinstellte, als so erfüllbar, daß es uns heute als alltäglich und selbstverständlich erscheint. Werner Siemens hielt es für ausgeschlossen, mit einem Vehikel, schwerer als die Luft, Aviatik zu treiben, und Helmholtz hat diese Unmöglichkeit mathematisch bewiesen. In der Vorgeschichte der Eisenbahn spielt das akademische Unmöglich eine große Rolle, und Stephenson wie Riggenbach (der Begründer der Steilbahn) hatten es nicht leicht, ihre Erfindungen gegen die auf Tollheit lautende Diagnose durchzusetzen. Der bedeutende Physiker Babinet führte sein mathematisches Rüstzeug ins Treffen, um die Unmöglichkeit eines Telegraphenkabels zwischen Europa und Amerika zu erhärten. Philipp Reis, der Erfinder des Telephons, ging an dem Unmöglich des kenntnisreichen Physikers Poggendorff zugrunde, und selbst als das praktisch brauchbare Telephon Graham Bells (1876) in Boston bereits funktionierte, erdröhnte es hüben noch immer von wissenschaftlich begründetem Unmöglich. Ja, man muß hinzufügen, daß Robert Mayers mechanische Wärmeäquivalenz, die in unserer Billionenrechnung als maßbestimmender Faktor steckt, zuerst ebenfalls die allerstärksten Widerstände bedeutender Gelehrter zu überwinden hatte.
Man denke sich den Menschheitszustand vor allem maschinellen Betrieb, vor der uns geläufigen Nutzbarmachung der Kohle zur Krafterzeugung. Schon damals hätte ein weitblickender Forscher jene 8000 Kalorien und ihre Umwandlung in Nutzkraft rein theoretisch finden können. Er würde es anders ausgedrückt, andere Zahlen ermittelt haben, aber er wäre vielleicht zu dem Ergebnis gelangt: hier liegt eine virtuelle Möglichkeit vor, die leider virtuell bleiben muß, weil wir kein Mittel besitzen, sie in irgend welchen Betrieb zu überführen. Und bei allem Fernblick wäre ihm der Gedanke etwa einer modernen Dynamomaschine oder eines Turbinenschiffs schlechterdings unfaßbar gewesen. Nicht einmal im Traume hätte ihm je eine derartige Vorstellung nahe kommen können. Ja, wir können uns sogar einen Menschen der urgrauen Vorzeit vorstellen, aus dem Diluvium, den eine Ahnung überkommen hätte von dem Zusammenhang eines Holzscheites mit der Sonnenwärme. Aber den Nutzgebrauch des Feuers kennt er noch nicht, und so durfte er mit primordialer Logik schließen:Es gelingt nicht und kann niemals gelingen, aus diesem Holzstück etwas sonnenartig Wärmendes herauszuholen.
Ich glaube sonach, daß wir Ursache haben, den Horizont der Möglichkeit weiter abzustecken, als es der Stand des jeweiligen Wissens verstatten will. Es verhält sich mit diesen Möglichkeiten, der unbedingten Unmöglichkeit gegenüber, wie mit Leibnizens vérités de fait gegen die vérités éternelles. Daß wir nie dahin gelangen können, ein ebenes gleichschenkliges Dreieck mit ungleichen Basiswinkeln zu konstruieren, das ist eine vérité éternelle. Dagegen ist es nur eine vérité de fait, daß es der Wissenschaft verschlossen bleibt, einen Menschen bei Lebzeiten unsterblich zu machen.
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