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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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für die heutige Vollversammlung ans Schwarze Brett. In schauderhaftem Englisch erkläre ich Mr Best, wie froh ich bin, dass er jetzt unser Chief und nicht mehr unser Enemy ist, überhaupt: dass so viele Nationen, die eben noch Krieg gegeneinander geführt haben, sich unter diesem Dach so gut vertragen.
    Er strahlt übers ganze Gesicht. »Well, it is entirely my pleasure, dear! As Chancellor Schuschnigg says: We are a small Völkerbund now, aren’t we?«
    Mit einer Verbeugung verspricht er, meinen Dank auch an die übrigen Komiteemitglieder Oberst Bonin, Prälat Neuhäusler, Fregattenkapitän Liedig, den französischen Prinzen von Bourbon und den ungarischen Gesandten Nikolaus von Horthy weiterzugeben.
    Nanni, Ina und Tante Sofie treffe ich in der Wäscherei, wo sie sich bemühen, nicht nur die Bett- und Tischwäsche des Hotels, sondern auch die armseligen Kleiderbündel zu reinigen, die die ehemaligen Gefangenen zum Waschen abgegeben haben. Das Schleudern der riesigen Waschtrommel übertönend, schreie ich die erstaunte Tante Sofie mit der Mitteilung an, wie sehr mich ihre Haltung und Würde noch in den allerschrecklichsten Momenten inspiriert hat. Nanni erkläre ich zur freundlichsten, hilfsbereitesten Person, die ich je kennengelernt habe, Ina zu einer der tapfersten, und als ich zu meinem letzten Satz anhebe, rollt die Maschine endlich aus: »Onkel Georg, Onkel Eckhardt und Onkel Yps wären begeistert, wenn sie uns sehen könnten. Deutsche, von Deutschen befreit!«
    »Sie sehen uns! « Ich sinke von Umarmung zu Umarmung. »Wir werden gesehen, darauf kannst du dich verlassen.«
    Fey hat Pause vom Kartoffelschälen, sitzt in ihrem Zimmer am Fenster und blickt über den See. Es ist klirrend kalt, das Braies ist ein Sommerhotel, das die Besitzerin eigens für uns geöffnet hat, und nur die Gemeinschaftszimmer am Ende jedes Stockwerks können geheizt werden. Nanni nennt unseres das »Sippenzimmer«.
    Als ich klopfe und eintrete, habe ich das Gefühl, Fey aus einem tiefen Traum zu wecken. »Wir sind so nahe an meinem Zuhause«, sagt sie leise. »Warum mache ich mich nicht einfach auf den Weg? Gestern dachte ich, ich sei wohl einfach zu müde, aber in Wahrheit bringe ich es nicht übers Herz, euch schon zu verlassen. Ist das nicht verrückt?«
    »Überhaupt nicht.« Ich lehne mich ihr gegenüber ans Fensterbrett. »Du hast jetzt zwei Familien, das ist alles.«
    »Kein Grund zum Heulen, oder?«, meint sie und putzt sich die Nase.
    »Du kannst gleich weitermachen!«, entgegne ich zu ihrer Erheiterung. »Aber vorher, Signora Pirzio-Biroli, bedanke ich mich für deinen Mut und dein Lachen und dafür, wie du andere immer wieder mitreißen kannst, wenn sie schon verzweifeln.«
    »Fritzi Bredemer«, schluchzt Fey, »es ist mir ein Vergnügen, mit dir zusammen gefangen gewesen zu sein!«
    Ballast abgeworfen, Klexchen? Mein Gewicht fühlt sich anders an, als ich es ein weiteres Stockwerk hinauftrage.
    Onkel Teddy finde ich mit Captain Churchill und Staff Sergeant Cushing beim Reinigen des Hausflurs. Ich bezweifle, dass eine Pfütze zwischen Wischmopp und Putzeimer ein angemessener Ort ist, um ein Familienoberhaupt für seine Weisheit und Güte zu rühmen, aber gerade in misslichen Lagen hätten sich diese ja bewiesen, erkläre ich meinem Onkel, und da er zudem immer derjenige mit den richtigen Worten gewesen sei, könne er sich bestimmt auch jetzt denken, was ich ihm sagen wolle.
    »What did she say? What did she say?«, rätseln die Engländer, während es Onkel Teddy zum ersten Mal die Sprache verschlägt und er mich nur stumm in den Arm nimmt.
    In der Kleiderstube treffen immer noch Spenden der Niederdorfer ein, aber auch aus Wehrmachtsuniformen, Decken oder Vorhängen kann man das Notwendigste nähen. Als ich eintrete, sind Mutter und Fräulein Gisevius damit beschäftigt, haltbare – und mit Sicherheit wetterfeste – Herrenhosen aus einem Zelt herzustellen.
    »Was ist mit deiner Hand?«, fragt Mutter sofort.
    »Kleines Experiment mit Wasser, Dr. Goerdeler hat es sich schon angesehen. Ist es nicht fantastisch, dass wir in den Lagern in fast jeder Situation jemanden unter uns hatten, der helfen konnte oder Rat wusste?«
    »Im Rückblick erscheint nicht alles nur schlimm, nicht wahr?«, meint sie nachdenklich. »Wir hätten es schlechter machen können.«
    »Danke, dass du immer für mich da warst«, platze ich heraus. »Es tut mir leid, dass man das umgekehrt nicht so sagen kann, aber ich werde mich bessern. Wo du

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