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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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unter den Tisch fallen.
    Als ich zum dritten Mal an derselben Stelle angekommen war, hatte mich der Schwung schon halb verlassen, dabei lag der schwere Teil des Briefes erst vor mir; überdies erschien es plötzlich unklug, meinen Vater zu erwähnen, ohne ihn um Erlaubnis gebeten zu haben. Ja, selbst die höchstwahrscheinlich zutreffende Feststellung, der Führer könne sich bestimmt nicht an mich erinnern, wirkte bei genauer Draufsicht plump und vermessen, da diesernicht eigentlich mich durch meinen Vater hatte grüßen lassen, wie ich es gern erzählte, sondern Frau und Kinder , was – streng genommen – überhaupt nichts bedeutete.
    »Kannst du mir sagen, was du da machst?«, fragte Antonia stirnrunzelnd und ich erkannte, dass sie mich schon längere Zeit beobachtet haben musste. Was kaum zu vermeiden war, denn wir saßen uns am winzigen Tisch in unserer Schlafstube gegenüber, beide Briefe schreibend; wenn ich wollte, konnte ich auch bei ihr mitlesen.
    »Ich schreibe an den Führer«, sagte ich mit größerer Entschlossenheit, als ich tatsächlich noch empfand. »Er muss wissen, was hinter seinem Rücken vorgeht.«
    Antonia kaute am Bleistift. »Hinter seinem Rücken?«, wiederholte sie.
    »Natürlich. Du glaubst doch nicht, dass er so etwas dulden würde!«
    »Ich glaube«, sagte Antonia, » so etwas interessiert ihn überhaupt nicht. Stehlende Ostarbeiter! Du hast eine Schraube locker, Fritzi. «
    »Ich meine nicht das Stehlen. Ich meine, dass sie ihn ...«
    »Aber vorher hat er gestohlen!« Das kam wie aus der Pistole geschossen. Sie sah mich wütend an. »Er hat gestohlen! Wir haben nichts falsch gemacht.«
    »Nein. Wir konnten es nicht wissen«, gab ich bedrückt zu.
    »Selbst wenn«, versetzte sie streng. »Wir mussten es melden.«
    »Der Führer ...«, begann ich von Neuem, aber weiter kam ich nicht. »Ich lasse mich von dir in nichts hineinziehen, Fritzi! «, rief Antonia mit hoher Stimme, griff über den Tisch und zog den Schreibblock unter meinen Armen hervor. Sie riss die obersten Seiten ab, gleich mehrere davon, und zerfetzte sie. »Das war unsere Pflicht, verstanden? Oder soll Ellen mit dir reden ...?«
    Verstanden. Verstanden habe ich in diesem Augenblick gleich dreifach. Ich verstand, dass Antonia nicht weniger Angst hatte alsich vor dem, was wir getan hatten. Ich verstand, dass der Brief an den Führer nicht geschrieben werden würde. Und ich verstand, dass keine Freundschaft überleben kann, was Antonia und mich nun verband.
    »Wollen wir?«, fragt Lexi und klappt ihren Koffer zu.
    Vermisse ich meinen Vater? Vater ist ein Foto in meinem Koffer, Vater sind ein paar Worte über den Krieg, Vater ist eine Handschrift auf Papier. Vater ist eine Stimme, deren Klang ich verloren habe.
    Fliegerhorst Gatow! Gleich hinter der Luftkriegsschule gelegen, ist er nicht mehr als eine weitläufige Rasenfläche mit mehreren Hangars und einem flachen Verwaltungsgebäude. Er dient ausschließlich zu Schulungszwecken, wie Lexi mir erklärt; selbstverständlich gibt es Maschinen sämtlicher im Militäreinsatz befindlicher Flugzeugtypen, aber wir werden nicht erleben, wie sie zu einem Einsatz starten. Der Mannschaftsbus, den wir vorhin gesehen haben, parkt auf dem Vorplatz und die jungen Offiziere stehen auf der Wiese um ein Flugzeug herum, das erschreckend winzig wirkt. Im Schatten eines Feuerwehrwagens sitzt dessen Besatzung und spielt Karten.
    Ich bin einigermaßen verblüfft. Dafür dass Krieg ist, geht es hier ganz schön ruhig zu.
    »Wundere dich nicht«, meint Lexi, »es ist noch Mittag, fast alle sind in der Kantine.«
    Manchmal befürchte ich wirklich, sie kann Gedanken lesen. Und dann wieder überhaupt nicht, denn sie fragt allen Ernstes: »Willst du mal in einem Stuka sitzen?«
    »Muss nicht sein«, erwidere ich kühl. Lexi lächelt, schon tut es mir leid. Was kann sie dafür, dass mein Bedarf an Bombern gedeckt ist?
    Andererseits – ist sie nicht im selben Gewerbe? Wir bombardieren London, London bombardiert uns. Flugzeuge sind eineErfindung, die man nie hätte machen dürfen, denke ich und bekomme plötzlich richtig Lust, es laut zu sagen.
    »Aber gegen einen friedlichen kleinen Fieseler Storch hast du hoffentlich nichts«, bemerkt Lexi. Langsam wird sie mir unheimlich. Stehen mir die Gedanken auf die Stirn geschrieben? Vielleicht sollte ich mir ihre Fliegerkappe ausborgen!
    »Wir müssen noch kurz in die Leitstelle«, erfahre ich, doch in diesem Augenblick passiert es. Wie aus dem Nichts stürzt ein

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