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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Schatten auf uns herab, fällt, dreht sich und fällt weiter, stürzt ungebremst auf die Erde zu, kreischend und heulend, dass einem das Blut in den Adern stockt. Und was ich den Flugzeugen generell und den Bombern im Besonderen gerade noch wünschen wollte, fällt direkt aus dem Himmel auf mich zurück, wird jede Sekunde vor meinen Augen zerschellen und es gibt kein Entrinnen – dem Feuerball, dem Tod, und wieder, schon wieder, den Schreien eines sterbenden Menschen.
    »Klexchen! Klexchen, das ist ein Übungsflug!«
    Ich werde durchgeschüttelt. Die Methode schlechthin gegen kreischende Jungmädel auf Flugplätzen. Der Grund, warum sie keine Zivilisten hereinlassen. Am Himmel hinter Lexis entsetztem Gesicht ist der Stuka längst wieder durchgestartet und zieht pfeilschnell davon.
    »O Gott, Klexchen«, sagt meine Tante matt und lässt sich neben mich auf die Wiese fallen. Aus der Gruppe der Offiziere, die um das andere Flugzeug stehen, macht jemand Anstalten, zu uns hinüberzulaufen, aber Lexi winkt ab. Alles in Ordnung. Nur meine dumme Nichte.
    Die fängt jetzt auch noch an zu heulen. Die schlägt Lexis Hand weg. Die faucht: »Lass mich, es geht schon!«
    Nach einer Weile nehme ich wenigstens das Taschentuch, das mir wortlos von der Seite gereicht wird. Lexi sitzt neben mir, die Arme um die Knie geschlungen, und betrachtet rücksichtsvoll nicht mich, sondern den Horizont.
    »Vor fast zwanzig Jahren«, sagt sie endlich, »bei meinem ersten Vorstellungsgespräch gleich nach dem Studium ging mein späterer Chef mit mir hinaus aufs Flugfeld. Einer seiner Freunde, ein erfahrener Pilot, unternahm gerade einen Versuchsflug. Er ist abgestürzt, vor unseren Augen. Es war schrecklich, ganz unvergesslich. Vor den Kräften, mit denen wir uns messen, darf man nie den Respekt verlieren.«
    »Du kannst ruhig sagen, dass ich mich blöd benommen habe«, knurre ich.
    »Und du kannst ruhig mal zuhören, junge Dame«, erwidert meine Tante, und an der Art, wie sie aufsteht und das Gras von ihrer Hose klopft, erkenne ich, dass ich sie gerade zum ersten Mal richtig verärgert habe.
    Schweigend gehen wir auf die Flugleitstelle zu. Solche Sachen macht sie also!, denke ich. Solche Sachen macht sie jeden Tag, und freiwillig ...!
    »Warte«, sagt Lexi auf einmal und hebt ein Stöckchen auf, und ehe ich michs versehe, kritzelt sie in den Sand zu unseren Füßen. »Ich will, dass du verstehst, was du gerade gesehen hast. Das ist der Stuka. Das ist das Ziel am Boden. Hier, und nur hier soll die Bombe treffen, ein Fabrikgebäude zum Beispiel oder ein Stellwerk, nicht aber die Wohnhäuser nebenan.«
    In Sekundenschnelle malt sie die Häuser, das Flugzeug, einen steilen Fallwinkel. »Das Stürzen ist nicht das Problem. Es ist anstrengend wegen der Fliehkraft-Einwirkung, die etwa das Siebenfache des Körpergewichts beträgt, vom enormen Druck beim Abfangen ganz zu schweigen. Aber das alles ist längst erprobt und ungefährlich, wenn man nicht gerade das Pech hat, während der Tests in einen Angriff zu geraten. Der Sinn des Sturzflugs ist die zielgenaue Bombardierung, im Gegensatz zu dem Flächenbombardement, das Berlin gerade erlebt. Ich nehme nicht an, dass dir das besser gefällt. Meine Aufgabe ist, die Geräte dafür zu entwickeln«, fährt sie fort, ohne meine Antwort abzuwarten »und das zügig undmit so vielen Testflügen wie möglich, weil die Truppe die Geräte braucht und nicht warten kann. Sturzflugvisiere, die die Zielgenauigkeit erhöhen, oder Nachtlandegeräte, die nach einem Abschuss Bruchlandungen verhindern können. Können , wohlgemerkt. Jeden Tag bekomme ich die Namen von den Abschusslisten und ein paar von denen ...« Sie holt tief Luft und wirft das Stöckchen weg. »Es sind richtig nette Männer dabei, Klexchen. Ich will, dass sie nach Hause zurückkehren, wenn das alles vorbei ist. Und was uns betrifft ...«
    Ich spüre, wie sie mich so lange von der Seite ansieht, bis ich endlich nachgebe und aufblicke.
    Ihre Augen lachen wieder. Mir fällt ein Stein vom Herzen. »Mach dir bitte keine Sorgen«, sagt sie. »Ich kann auch noch geradeaus fliegen!«
     
    Lexis Fieseler Storch muss seinen Namen von den staksigen »Beinen« haben, auf denen er steht; er sieht freundlich aus und ist es auch – unbewaffnet, langsam, eine verlässliche kleine Luftkiste, die kaum Platz zum Starten und Landen braucht. Lexi nimmt sich Zeit zu erklären, bevor wir einsteigen; zwischendurch klopft sie dem Flugzeug sogar auf die Schnauze, wie einem guten

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