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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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alles schon in den Papieren, die mit mir zusammen übergeben wurden, aber mit strengem Gesicht vergleicht die Aufseherin, die mich übernommen hat, ob meine Behauptungen über mich stimmen.
    Mein Koffer wird geöffnet, der Inhalt ausgelegt und erfasst. Aus bis zur Decke reichenden Regalen im Hintergrund eines langen Tisches, auf dem sich das Häuflein meiner Habseligkeiten verliert, erhalte ich ein graues Stück Stoff: eine Schürze, die über denKleidern zu tragen ist. Unterschreibe etwas, das mir die Aufseherin hinhält; ich glaube, es war ein Gesuch, in der Zelle lesen zu dürfen.
    In einem weiß gefliesten, nach Desinfektionsmittel riechenden Raum muss ich mich ausziehen und untersuchen lassen, bestätigen, dass ich keine Medikamente benötige. Ich erhalte ein dünnes Handtuch und ein fingerkuppengroßes Stück Seife und erfahre, dass man einen Antrag stellen kann, zu baden.
    Ich stolpere, das Handtuch in der linken, den Koffer in der rechten Hand, hinter der Aufseherin durch einen stillen Zellentrakt, in dem es nach Essen und Klo riecht, vorbei und vorbei und vorbei an einer schmalen Eisentür nach der anderen. Kleine Brücken, an denen Wachposten stehen, führen über einen vergitterten Mittelgang zum identischen Trakt auf der gegenüberliegenden Seite, durch die Gitter geht nach unten und oben der Blick in weitere Flure.
    Ich stehe dumm vor einer Tür, die sie mir aufgeschlossen hat, bis sie kopfschüttelnd sagt: »Also, da musst du schon allein hineingehen! «
    Zögernd tue ich zwei Schritte in eine winzige, dämmrige, glutheiße Zelle.
    »Großer Gott – Philippa! «, flüstert meine Mutter.
    Sie hat gewusst, dass jemand zu ihr gelegt wird. An die ihrer Pritsche gegenüberliegende Wand haben sie am Vortag noch eine zweite Bettstatt gestellt, mit demselben blau karierten Strohsack, der als Matratze dient, und einer groben Wolldecke.
    »Ich hab noch gefragt: Muss das sein ...?«, erzählt Mutter und hält meine Hand. »Die ersten Tage bin ich vor Anspannung förmlich die Wände hochgegangen, doch dann ... plötzlich fiel alles von mir ab, ich wurde ganz ruhig, und diese herrliche Stille! Es war mir gar nicht recht, dass es damit wieder vorbei sein sollte.«
    Man muss sich um nichts mehr kümmern, keine Entscheidungen treffen, sagt sie, und alles wird wunderbar friedlich, sobaldman begriffen hat, dass das, was geschieht, nicht mehr in der eigenen Hand liegt. Fast vergnügt sitzt sie neben mir auf der Pritsche und ich höre mit wachsendem Entsetzen zu.
    Meine Mutter im Gefängnis! Seit ich weiß, womit sie die dreißig Franzosen wiedergutzumachen hofft, habe ich geahnt, dass es darauf hinauslaufen könnte, aber sie tatsächlich hier zu sehen, ist unfassbar. Meine Mutter mit ihren feinen Gesichtszügen, ihren anmutigen Bewegungen, ihrer melodischen Stimme; selbst die Schürze über den Kleidern kann ihrer Eleganz nichts anhaben. In der schäbigen, über und über mit Namenszügen beschmierten Zelle, zwischen Strohsäcken, dem Holzbrett an der Wand, das als Tisch dient, und dem stinkenden, notdürftig mit einem Stück Pappe bedeckten Kübel wirkt sie so absurd wie ...
    ... wie jeder aus meiner Familie. Omama. Tante Josi. Tante Nelly. Plötzlich wird mir bewusst, was mit ihnen geschehen ist, und die Unerhörtheit dessen, was man mit uns macht, bricht jäh über mich herein, raubt mir fast den Atem.
    Aber Mutter lacht! Es ist unheimlich. »Sie sind alle hier«, sagt sie fast triumphierend. »Die Verräterfrauen! Marion Yorck, Bärbel Haeften, Clarita Trott ... und Ina, nicht zu vergessen! Drei Zellen weiter liegt Ina.«
    Ein Ruck durchfährt mich. »Tante Ina ist hier? Nur Tante Ina? Was ist mit Omama? Nelly? Tante Josi?«
    Nun blickt sie doch bestürzt. »Omama auch ...?«
    »Und Onkel Yps und die Kinder.«
    »Die Kinder!«
    Mit ihrem wunderbaren Frieden ist es vorbei. Mutter sitzt ganz still. »Ist Marion Yorck die Frau von Peter Yorck?«, frage ich. Sie nickt ängstlich.
    »Sein Name stand in der Zeitung. Er war im ersten Prozess dabei. Tante Helma sagt, er sei mit uns verwandt.«
    Kaum hörbar fragt sie: »Wer noch?«, und ich nenne die unbekannten Namen, die ich wieder und wieder gelesen habe,Witzleben, Hoepner, Stieff, von Hagen, von Hase, Bernardis, Klausing, Yorck. Ich sage ihr, dass die Anklage Hochverrat und das Urteil Tod durch Erhängen lautete.
    »Das war zu erwarten«, murmelt sie. »Fritzi, ich glaube, Marion weiß es noch nicht. Was mache ich bloß? Soll ich es ihr sagen?«
    Arme Mutter. Noch keine

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