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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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behalten.
    Dass Lore verschwand, einen Tag nach Omamas Verhaftung. Sie verschwand ohne Abschied, war einfach nicht mehr da, jemand hat sie am Bahnhof warten sehen. Jette bat im Weggehen immerhin darum, ihr ein Arbeitszeugnis nachzusenden – als ob sie ein Zeugnis mit der Unterschrift von Lau tlitz noch irgendjemandem vorlegen könnte!
    Dass wir nicht hinaus vor die Mauer durften, und niemand von außerhalb hinein zu uns. Nach einigen Tagen fiel es schwer zu sagen, ob wirklich die anderen vom Erdboden verschluckt waren oder nicht doch wir selbst.
    Tante Helma versammelte uns im Wohnzimmer. »Ich habe auch eine Liste gemacht! Ab heute bekommt jeder von euch eine Aufgabe. Frühstücks-, Mittag- und Abendtisch decken, Geschirr spülen, Wäsche aufhängen, Blumen gießen ...«
    Schon schrien die Kinder aufgeregt durcheinander, bis ihre Namen endlich auf der Liste standen, hängten das Blatt in der Küche auf und studierten es mit feierlichem Ernst nach jeder erledigten kleinen Pflicht. Ich wischte Staub und wusch ab, sprengte die Rosen, machte Betten, und meine in Oschgau erworbenen Küchenkenntnisse kamen auch endlich zum Einsatz. Meine Reibekuchen musste ich in den drei Wochen gleich fünfmal machen!
    Es war wie ein Spiel, das Tante Helma bis zum Schluss aufrechterhielt, obwohl sie krank vor Sorge sein musste um Onkel Yps und die anderen. Selbst Guntram, der in den ersten Tagen nach Tante Nellys Verhaftung kaum gesprochen, sondern unaufhörlich am Cello seines Vaters gezupft hatte, trug sich irgendwann auf die Liste ein.
    Immer wieder das tiefe C, bis Tante Helma und Witta ihn anflehten aufzuhören. »Das war das einzig Traurige für Papi«, sagte Guntram an mich gewandt, wohl weil ich gerade zufällig neben ihm stand. »Mit nur einer Hand konnte er nicht mehr musizieren.«
    Der gestrige Tag war der schlimmste. Das spurlose Verschwinden der halben Familie und den Hausarrest musste man hinnehmen, durfte beides nicht noch schlimmer machen, indem man den anderen gegenüber die Nerven verlor. Doch allein zurückzubleiben hatte ich nicht auf meiner Rechnung. Tante Helma war da – aber wie lange noch? In den vergangenen drei Wochen hatte ich ständig ein Ohr nach draußen gerichtet und erwartet, dass auch sie jeden Augenblick abgeholt wurde, und Tante Helma ging es offenbar ebenso, denn ihr Koffer blieb gepackt.
    Wie ein Geist schlich ich durchs Haus, saß mal auf diesem, mal auf jenem Stuhl, legte mich in alle Betten. Und dann war meinetwegen ein Wagen gekommen! Ich war so erleichtert, dass ich geradezu an mich halten musste, um nicht eine Spur zu bereitwillig hineinzuschlüpfen. Schließlich wäre es unklug, die Gestapo darauf aufmerksam zu machen, was ich in diesen vierundzwanzig Stunden erkannt habe: Die schlimmste aller Strafen für mich wäre, in Freiheit zu bleiben, während meine Familie eingesperrt ist.
    Nun also Berlin. Sehe ich die anderen dort wieder? In einem Gefängnis womöglich? Oder bringen sie mich einfach nach Hause, zu Mutter? Was immer sie vorhaben, die schlimmste aller Strafen ist ausgeblieben und das reicht, um mich ein wenig vorwitzig zu machen.
    »Sie haben nicht zufällig eine Zeitung von heute ...?«
    Die Frau blickt nicht einmal auf von dem Buch in ihrem Schoß.
    »Warum haben die Zeitungen nur vom ersten Verschwörerprozess berichtet? Der nächste war doch schon angekündigt. Oder finden keine mehr statt?«
    Mit voller Absicht fordere ich sie heraus. Es funktioniert! »Still!«, zischt sie böse.
    Um uns herum wird jetzt verstohlen geguckt. Die Frau blickt starr in ihr Buch, doch ich sehe ihr an, wie nervös sie wird.
    Zufrieden lehne ich mich zurück. Mutprobe bestanden! Schön wäre es, jetzt noch mit betonter Gelassenheit aus dem Fenstersehen zu können, doch in diesem Zug gibt es keine Fenster mehr. Die Öffnungen sind grob mit Holzplanken vernagelt, durch deren handbreite Zwischenräume Licht ins Abteil fällt. Der Ruß der Lokomotive zieht hinein und lässt die Augen tränen, und der Fahrtwind macht frösteln, obwohl es draußen warm ist. Die meisten Passagiere haben Jacken dabei; ich trage lediglich einen Rock und Lexis Bluse, die ich in den vergangenen Wochen nur ausgezogen habe, um sie zu waschen. Die Frau hat mir nicht gesagt, dass ich eine Jacke brauche.
    »Wer uns im entscheidenden Stadium unseres Daseinskampfes in den Rücken fällt, verdient keine Rücksicht«, hat der Führer verkündet.
    Verstohlen blicke ich zu meinem Koffer auf, der im Gepäcknetz liegt. Ihrer liegt darüber,

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