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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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halbe Stunde teile ich mit ihr die Zelle und schon hat sie wieder etwas zu entscheiden! Durch den länglichen, vergitterten Fensterschlitz – zu weit oben in der Wand, als dass man hinausschauen könnte – fällt ein Streifen Licht, in dem Staubfäden schwimmen, auf unsere identischen grauen Schürzen, die ineinander verschlungenen Hände.
    »Könnt ihr Frauen denn einfach miteinander reden?«
    »Das nicht. Wenn wir uns vor dem Hofgang auf der Treppe begegnen, kann man sich ein paar Worte zuflüstern. Besser geht es, wenn wir bei Alarm in den dritten Stock gebracht werden.«
    Bedrückt sitzt sie da und starrt vor sich. »Lexi habe ich kurz gesehen«, sagt sie plötzlich, »am ersten Tag im Polizeipräsidium am Alex. Wir müssen fast gleichzeitig verhaftet worden sein, sie war im Vernehmungsraum nebenan und die Tür stand offen, als ich vorbeiging.«
    »Lexi! Wann war das?«, frage ich aufgeregt.
    »Am Dienstag nach dem Unglück. Ja, es kann gut sein, dass sie und die anderen hier sind, Fritzi. Dies ist ein Untersuchungsgefängnis. Es gibt verschiedene Trakte mit je einem eigenen Spazierhof. Wenn du dich auf die Nähmaschine stellst, kannst du in unseren hineinsehen.«
    Die Nähmaschine? Erst jetzt bemerke ich den zugeklappten Kasten, der unter dem Fenster steht. »Verrückt, nicht wahr?« Mutter folgt meinem Blick. »Ich nähe. Ich nähe scheußliche Männerhosen aus irgendwelchen alten Vorhangstoffen, flicke Hemden und stopfe Socken voll riesiger Löcher.«
    »Aber ... das ist ja fantastisch! Vielleicht können deine Kundinnen etwas für dich tun! « Plötzlich sitze ich kerzengerade. »Ja,vielleicht tun sie es schon! Liegen ihren Männern in den Ohren, dass sie dich vor dem nächsten großen Fest hier herausholen!«
    Mutter versucht zu lächeln. »Das würden nicht einmal die beiden schaffen. Nicht nach dem, was passiert ist.«
    »Ach was. Du heißt doch gar nicht mehr von Lautlitz! «, rufe ich. »Was wollen die überhaupt von uns? Weißt du, was der Gestapo-Mann, der die Kinder wegbrachte, gesagt hat? Ich gehöre nicht dazu! «
    Nun ist es an Mutter, mich groß anzusehen. Sie macht den Mund auf, zögert, holt Luft.
    Und plötzlich weiß ich wieder, was Angst ist. »Wir beide sind nicht nur wegen des Namens Lautlitz hier, Fritzi«, sagt sie. »Wir sind hier wegen Vater.«
     
    Das Fenster sieht aus wie eine Schießscharte. In regelmäßigen Abständen fällt das grelle Licht eines Scheinwerfers hinein, zuckt von einer Ecke der Zelle in die andere und verschwindet in der Wand über meiner Pritsche. Mutter tut, als ob sie schlafe; atmen höre ich sie jedenfalls nicht. Vielleicht hält sie die Luft an, um nie wieder aufzuwachen.
    Verstehen könnte ich es! Am liebsten würde ich es selbst so machen, aber ich habe es schon einmal versucht und weiß, dass es nicht funktioniert. Wenn du Rache wolltest, jetzt hast du es geschafft, Piotr!
    Die Dummheit dieses Gedankens wird mir bewusst, noch bevor ich ihn zu Ende gedacht habe. Rache war es jedenfalls nicht, was Piotr in den letzten Augenblicken seines Lebens bewegt hat. Er war ein zu freundlicher Mensch, und außerdem ist er dazu gar nicht mehr gekommen.
    Philippa Bredemer, Sippenhaft. Ich muss sagen, das war recht milde ausgedrückt. In meinem Kopf haben sich andere Worte bereits geformt, aber noch sträubt er sich, sie zur Benutzung freizugeben.
    Der Papi hat sich geirrt. So leicht wird Mutter es mir nicht machen. »Was immer sie dir einreden – vertrau ihm! «, verlangt sie.
    Mein Vater, der mich vom Führer hat grüßen lassen! Mein Vater, der immer und auf alles eine Antwort wusste! »Er hat das auch für dich getan«, behauptet Mutter.
    Für mich ...? Philippa Bredemer, Tochter eines Hochverräters.
    Sie können es mir ebenso gut auf die Stirn brennen. Anspucken wird man uns, jeder wird es wissen. Philippa Bredemer, Tochter, Nichte und Großnichte von Hochverrätern.
    Hoffentlich müssen wir nie wieder hier heraus!

A CHT
    An meinem Vater – stolz, stattlich und ernst – saß die graue Wehrmachtsuniform wie eine zweite Haut. Nachdem ich ihn das erste Mal in Uniform gesehen hatte, konnte ich mich kaum noch erinnern, wie er vorher ausgesehen hatte – mir war, als sei diese Zeit mit einem Mal bedeutungslos geworden, und die Ehrfurcht, die ich bei seinem Anblick empfand, folgerichtig und angemessen, selbst wenn sie ihn mir fremder machte. Ab sofort gehörte mein Vater nicht mehr mir, er gehörte Deutschland!
    Deutschland in Polen, Deutschland in Frankreich,

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