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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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es auch die anderen, über den hohen, glatten Einstieg in den Waggon zu klettern. Sie sind erschöpft und durchgefroren, Wasser tropft von Mänteln und Schuhen und wird am Boden zu Eis. Mit uns nehmen acht SS-Wachen Platz, auch eine Frau ist darunter. Als der Zug sich quietschend in Bewegung setzt, spürt man unser Aufatmen wie einen Luftzug durch die Reihen gehen.
    Leider fahren wir nur wenige Minuten. Die Wache geht nachsehen, warum wir anhalten. Wasserkessel leer, heißt es, Lokomotivendefekt. Wind und Schneeflocken wirbeln durchs Fenster, wir stehen ungeschützt auf freier Strecke und Markus hantiert mit steif gefrorenen Fingern an dem kleinen Ofen, aber was nützt es, wir haben ja keine Kohlen. Es dauert Stunden, bis wir endlich weiterfahren.
    Habe ich nicht irgendwo gehört, Erfrieren sei ein angenehmer Tod? Ich kauere unter meiner Decke und habe das Gefühl, dass ich bald mehr wissen werde. Tante Adele schlägt vor, einen Freiwilligen längs über die Knie in jeder Reihe zu legen, um für zusätzliche Wärme zu sorgen, ein aus meiner Sicht äußerst kluger Einfall, aber niemand scheint sich aufrappeln zu können, ein Freiwilliger zu werden.
    Der Zug rumpelt und poltert, wir stehen schon wieder! Im Licht eines prallen Vollmonds, der durchs Fenster scheint, sehe ich unsere reglose, schicksalsergebene kleine Schar.
    »Kohlen sind aus!«, ruft es draußen. Die Wachmannschaft flucht, sie frieren nicht weniger als wir. Besonders nahe fühle ich mich ihnen deshalb aber nicht.
    Wind und Schnee malen pulverzarte Muster in den Gang. Man könnte die ganze Nacht zusehen. Man wird es müssen! Erst gegen Morgen kommt ein Wagen aus Stutthof und bringt Kohlen für die Lok.
     
    Als ich klein war, hing am dicksten Ast der Eiche in unserem Garten eine Hängematte. Es lagen Kissen darin, und da war eine kleine grau-weiße Katze. Minka! Ich höre es Fabian über den Rasen rufen: Minka, jag das Stöckchen!
    Dann kommt er auf mich zu. Mein großer Bruder ist schon dreizehn, er hat strubbeliges blondes Haar, das noch nass ist vom Schwimmen. Mach mal Platz!, sagt er zu mir.
    Platz? Ich war zuerst da! Ich klammere mich an den Rand der Hängematte und will nach Mutter schreien. Mensch, Fritzi!, meint Fabian. Letzten Sommer haben wir doch auch zusammen in der Hängematte gelegen!
    So? Ich klappe den Mund wieder zu. Irgendwo in meinem Kopf ist ein Bild, das mir sagt, dass er Recht hat, aber was heißt »letzter Sommer«? Ich hocke in einer Ecke der Matte und sehe zu, wie er hineinklettert, sich ausstreckt ...
    ... und plötzlich erinnere ich mich! Kichernd krabble ich über ihn, wühle und rutsche ein wenig, bis ich bequem rücklings auf seinem Bauch liege.
    Bist du schwer geworden, seufzt Fabian, aber ärgerlich klingt es nicht. Gutmütig streicht er mir übers Haar und erzählt von einem großen Stör, den sie im Kanal gesehen haben.
    Einige Jahre später zogen wir nach Charlottenburg und hatten keinen Garten mehr und keine Minka, aber die Hängematte hing noch lange in unserem Speicher und Fabians Hand, die über mein Haar streicht, kann ich – nicht aufwachen! – bis heute spüren.
    Gegen graues Morgenlicht beginnen sich die Umrisse vermummter Gestalten abzuzeichnen, die mir gegenübersitzen, reglose, spitz zulaufende Berge mit Atemwölkchen um den Gipfel. Gut, so leben wir also noch! Aber auf wessen Knien liege ich eigentlich ...? Mutters können es nicht sein, sie sitzt links von mir – also Max. Und es ist seine Hand, nicht die von Fabian.
    Mir wird ganz warm. Mein Haar muss sich anfühlen wie Stroh! Hastig schwenke ich zurück in Sitzposition, stocksteif wie ein Geist, der sich aus dem Grab erhebt, und tue, als würde ich jetzt erst wach und hätte nicht das Geringste bemerkt.
    Leider stelle – aller gewonnenen Wettbewerbe im Nichtpinkeln zum Trotz – auch ich nun fest, dass ich »hinter den Wagen muss«. »Hinter den Wagen müssen« ist die diskrete Umschreibung für nichts anderes, als neben der Mündung einer Pistole im Schnee zu hocken, während der Wachposten aus unerfindlichen Gründen Spaß daran hat zuzusehen. Von der taumelnden Ina, die von Nanni gestützt werden muss, bis zur eiskalt verächtlichen Tante Adele, die den Posten mit Blicken in den Boden nagelt, muss sich jeder dieser demütigenden Prozedur unterziehen, indes der Schnee von oben und unten durch die Kleider fegt. Wo Weg, wo Gleis, wo Landschaft, ist nicht zu erkennen, unsere ramponierte kleine Bahn steht im Niemandsland, als hätte man sie aus dem

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