Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
der gefälligst nicht wie ’ne Ente an ’ne grüne Ampel ranrollen soll, bis sie auch ganz sicher rot ist.«
»Hm. Tja, ja. Es ist immer einfach, im Vakuum des Wagens den Mund aufzureißen, weil man hier keine Konsequenzen zu fürchten hat.«
»Was für ein Quatsch ist das denn?«
»Du willst mir also weismachen, dass du nicht einer dieser Männer bist, die sich aufprusten, solange sie in ihrem sicheren Auto sitzen, sondern dir geht es nur darum, dass der Mann vor dir endlich fährt, und deswegen erzählst du es dem Lenkrad?«
Moritz zieht seine Brauen zusammen und schüttelt irritiert den Kopf. »Ich habe zwar nur die Hälfte von deinem Kram verstanden, aber ja, ich will nur, dass der Depp endlich fährt.«
»Okay«, antworte ich und reiße die Beifahrertür auf. Ich lehne mich zwischen Auto und Wagentür und beginne zu schreien: »Hey, du Penner in deinem Sonntagscabrio mit deinem Sonntagsfahrstil, roll gefälligst nicht wie ’ne Ente an ’ne grüne Ampel ran, bis sie auch ganz sicher rot ist!« Kurz darauf fällt die Wagentür wieder ins Schloss, und der Wagen vor uns gibt endlich Gas.
»Es bringt nichts, wenn du es nur dem Lenkrad sagst.«
»Sicher«, antwortet Moritz, während ich mir einbilde, ein klein wenig Angst in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Den Rest der Fahrt stellt Moritz die Konversation ein. Mit mir. Und dem Lenkrad. Ein Sachverhalt, der mir nur recht ist, weil ich so Zeit genug habe, darüber nachzudenken, wie ich dieses Interview überhaupt führen soll, wenn ich die zu interviewende Person gar nicht kenne. Dieser Gedanke ist nicht zuletzt so beängstigend, weil er mir in diesem Moment zum ersten Mal in den Sinn kommt. Ich sehe verwirrt zu Moritz, als ich an die Worte meiner Mutter denken muss. »Wenn dir etwas nicht gefällt und du es nicht ändern kannst, dann sieh woandershin.« Also lasse ich meinen Blick auf die andere Seite und hinauswandern, wo er auf ein riesiges Plakat an einer Hauswand fällt, von dem mich Susan Winter mit Schürze und Kochlöffel ausstaffiert anlächelt. In diesem Moment kommt der Wagen zum Stehen.
Danke. Danke. Danke.
*
Ich stürme Moritz hinterher, während mein Herz wild schlägt.
»Ist Susan Winter tatsächlich unsere Frauen-die-wir-Männer-wollen-Frau?« Als ich das ausgesprochen habe, merke ich, wie bescheuert das klingt.
»Sie war die Erstbeste, die wir kriegen konnten«, grummelt Moritz vor sich hin und beschleunigt seinen Schritt, als wäre ich die kleine nervige Schwester, die es abzuschütteln gilt.
Als wir in die TV-Studios gelangen, erkenne ich alles sofort wieder, als wäre es meine eigene Küche. Die bunten Oberschränke an der Backsteinwand, die Keramikspüle, eine knallrote KitchenAid,in der Mitte ein Tresen mit Schneidefläche, Induktionskochfeld und kleinen Blecheimerchen mit Schnittlauch, Petersilie und Basilikum. Daneben Susan Winter umtänzelt von einer Dame, die ihr eine blonde Haarsträhne mit Spray an den Kopf zu kleben versucht, einem kleinen Mann mit Schiebermütze, der ihr etwas von dem Block in seiner Hand vorliest, und Moritz, der nichts weiter tut, als Susan zuzunicken und damit beginnt, sein Stativ, die Kamera und Dutzende andere Teile auszupacken und in einem Bereich neben dem Kochset auszurichten.
Ich bin schlagartig glücklich. Und das aus genau drei Gründen.
Erstens, weil ich tatsächlich mitten in der Solokitchen stehe und Susan Winter nun absolut nicht die erstbeste, sondern die beste erste Interviewpartnerin und geradezu wie von mir auf einem Wunschbestellzettel dick angekreuzt ist.
Zweitens, weil selbst Susan sich ihre eigenen Rezepte von einem kleinen Mann mit Schiebermütze beibringen lassen muss und ihre blonden Haare, wie bereits von Astrid und mir vermutet, gar nicht von selbst in diese fantastische Form fallen.
Und drittens, weil Moritz genauso stoisch und unhöflich zu Susan ist wie zu mir. Mir kommen erste Gedanken, ob der Fotograf womöglich in irgendeiner Form frauenfeindlich oder schwul ist. Ich beobachte Moritz, wie er einen Scheinwerfer anknipst und damit ein samtgrün bespanntes Sofa aus den fünfziger Jahren vor einer lilafarbenen Wand aus dem Dunkeln hebt. Die Augen des Fotografen verengen sich kurz, dann erlischt das Licht wieder. Hmm. Andererseits dachte ich damals auch bei meinem Nachbarn Tim, er sei schwul. Ich habe einen theatralischen Streit auf dem Treppenabsatz wegen seiner Eierschalen, die in unserem Altpapier gelandet waren, vom Zaun gebrochen, obwohl ich wusste, dass diese
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