Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
zusammen. Abgesehen von seinem Alter, der Studienwahl, den Nachmittagskursen, dem Sex und den Zombies.Aber wahrscheinlich haben Menschen, die keine Beziehung wollen, die besten Beziehungen zu Menschen, die keine Beziehung wollen.
»Fertig?«
Ich überlege kurz, ob mir noch etwas Wichtiges einfällt, das Susan Winter gesagt haben könnte. Aber nein.
»Fertig.«
»Okay, dann fahre ich dich jetzt nach Mülheim zum MeMa .«
»Hast du überhaupt einen Führerschein?«
»Seit sechs Jahren, Anna.«
»Es ist deine Haut. Und das Lächeln. Und vor allem dieser Haarschnitt! Ich meine diese Franseln, die lassen dich derart infantil wirken.«
Tim zieht den Ausdruck des Interviews aus dem Drucker und sieht mich mit erwachsenen Falten auf der Stirn an.
»Was sind Franseln?«
»Ich dachte, du fragst, was infantil bedeutet.«
Ich lächle, Tim hingegen zupft höchst skeptisch an seinen Haarspitzen, als wir im Flur am Spiegel vorbeikommen. Kritisch bewegt er seinen Kopf nach oben und unten, nach rechts und nach links, um scheinbar immer wieder neue Stellen seines Hauptes in den Fokus seines kritischen Blicks zu schieben.
»Komm jetzt«, treibe ich ihn an.
»Also, Jaqueline gefällt es.«
»Wer ist Jaqueline?«
»Die Frau von Samstagnacht.«
»Du hast Samstagnacht die Herr-der-Ringe -Trilogie geguckt. Es gibt keine Jaqueline.«
Tim lässt sein Spiegelbild los und folgt mir in den Hausflur.
»Hab ich dir das tatsächlich gesagt?«
»Hm.«
»Aber Soraja gab es wirklich. Und Ronja. Und Janaina.«
»Wenn du dir nicht immer so skurrile Namen ausdenken würdest, würde ich dir vielleicht tatsächlich irgendwann glauben.«
*
Vor dem Gebäude des MeMa versuche ich, mich zu sammeln. Ich atme tief ein und stütze mich am Handschuhfach des Wagens ab. Ein Blick in den heruntergeklappten Spiegel des Sonnenschutzes sagt mir: Ich hatte rein visuell betrachtet durchaus auch schon schlechtere Tage.
Aber nicht viele.
Als ich meine Aufmerksamkeit von meinem Spiegelbild weg zu den bodentiefen Fenstern der MeMa -Redaktion wende, meine ich die lange, dünne Statur von Jürgen Bender zu erkennen, wie sie an den Schreibtischen vorbei in den hinteren Bereich des Großraumbüros wippt. Hinter einer backsteinernen Säule verliere ich ihn aus den Augen.
»Ich gehe jetzt rein, Tim. Wo ist die Mappe mit dem Interviewausdruck?«
»Nein, lass mich das machen. Wenn du so da hineintorkelst, denkt dein Chefredakteur, du bist eine trockene Alkoholikerin … gewesen.«
»Ach Timmi, ich muss Jürgen Bender doch die Umstände erklären, unter denen es zu dieser Version des Interviews gekommen ist. Sonst hätte ich es ja auch per Mail …«
»Gib mir jetzt die Mappe!« Tim zieht an ihrer unteren Hälfte. »Ich sage, dass du krank bist. Und irgendwie liege ich damit ja auch ziemlich nah an der Wahrheit. Zumindest wenn man geistige Störungen mit einbezieht!«
»Okay«, beruhige ich mich und Tim und lasse das obere Ende der Mappe los, in der Einsicht, dass er der Stärkere von uns beiden ist. »Du hast wie immer recht. Mir fehlt wirklich der Kopf«, stöhne ich, »vielleicht warte ich doch besser ab, bis ich nüchtern bin, und suche dann das Gespräch.«
»Ja, ich denke, das wäre das Beste. Dann bringe ich jetzt die Mappe rein. Ist alles komplett?«
»Lass mich noch mal drüberblicken, ob ich auch meine Visitenkarte dazugelegt habe.«
Tim reicht mir die Mappe. Ha! Was für ein Fehler. Kaum dass sie in meinen Fingern ist, verlässt die Mappe mit mir fluchtartig das Auto Richtung Büro und stürmt in das Gebäude. Würde ich mich jetzt umdrehen, würde ich ganz sicher meinen Nachbarn sehen, wie er den Kopf schüttelt, um schließlich mit dem Herumspielen an seinem MP3-Player meinen freien Willen zu respektieren.
Als ich mich darin versuche, die Tür zum Büro möglichst selbstbewusst zu öffnen, knallt sie fast an die gegenüberliegende Wand. Schlagartig gehört die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter mir. Ihre Körper driften eigenartig nach rechts weg, wenn ich versuche, sie zu fixieren. So, Anna! Das ist der Moment fürs Selbstbewusstsein.
Ich atme ein, hebe leicht, ganz leicht, für den Betrachter fast unbemerkbar, aber dennoch nicht ohne Wirkung, in Sondtheimer Art das Kinn und betrete das Büro auf der Suche nach Herrn Bender und einem Gang ohne Schlenker. Doch statt den Chefredakteur zu finden, baut sich auf einmal wie aus dem Nichts dieser Fotograf vor mir auf, so dass ich das Gleichgewicht verliere und in seine Arme falle.
»Anna! Alles
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