Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
mich wieder an meinen Bistrotisch in der Sonne.
»Du kennst sie doch. Sie ist deine beste Freundin. Wie wird sie wohl reagieren? Wird sie mich verlassen?«
Thomas stützt sich mit beiden Händen auf die Tischkante auf, als wolle er von mir die richtige Antwort auf seine Frage erzwingen.
»Hach, entschuldige. Mein Handy klingelt.«
»Ich hab gar nichts gehört.«
»Vibration«, erkläre ich kurz und krame in der Handtasche. »Ach. Das ist Tante Erna aus München. Da muss ich rangehen.«
*
NOTFALLPLAN NO. 6
ART DES VORFALLS: HÖCHST UNANGENEHME SITUATION, DIE STATT DER KLÄRUNG EINEN HINTERAUSGANG BENÖTIGT
SCHWERE: BEI ALLEN SCHWEREGRADEN ANZUWENDEN
MAßNAHMENKATALOG:
HANDYANRUF VORTÄUSCHEN (ACHTUNG, GEHT NUR, WENN HANDY LAUTLOS GESCHALTET IST, SONST UNBEDINGT TATSÄCHLICH ABNEHMEN, DA ANDERNFALLS, WIE LEIDER SCHON PASSIERT, HANDY BEI VORTÄUSCHUNG EINES TELEFONATS PEINLICHERWEISE TATSÄCHLICH AM OHR KLINGELN KANN!)
ZEITPLAN: JETZT
KONTAKTPERSONEN: TANTE ERNA
*
Thomas lässt sich tatsächlich abwimmeln und entschwindet im Laden. Da ich jedoch weder einen Anruf noch eine Tante Erna habe, kann ich den Dialog, der sich zwischen Theke, Bistrotisch und einer Sechsjährigen abspielt, mithören.
»Weißt du, wie viel Minus wir diesen Monat gemacht haben!? Wann kümmerst du dich endlich um diese Mona? Du kriegst wirklich gar nichts hin. Nichts.«
»Lena, ich habe mit ihr geredet. Sie wird das Ladenlokal wieder verkaufen, sobald sie einen Interessenten findet.«
»Ach, und warum sollte sie so etwas tun? Das ist doch Quatsch.«
»Ich … weil … ich habe dir doch gesagt, dass ich das Problem löse, verdammt.«
Während ich angestrengt dem regen Redefluss meiner imaginären Tante lausche, klirrt im Laden Geschirr, woraufhin Zora anfängt zu weinen. Im nächsten Moment marschiert Thomas mit seiner Tochter auf dem Arm an meinem Bistrotisch vorbei.
»Oktoberfest? Nein, das kann ich nicht einrichten!«, erkläre ich dem Handygehäuse.
Lena wirft Thomas einen fragenden Blick zu, während sie an Zora auf seinem Arm herantritt, um ihr die Tränen von den Wangen zu wischen.
»Sie telefoniert mit ihrer Tante Erna«, erklärt Thomas, weshalb Lena mir einen neugierigen Blick zuwirft. Sie weiß, dass es Tante Erna nicht gibt. Ich nehme sicherheitshalber trotzdem erst das Handy vom Ohr, als der Kombi von Thomas mit Zora auf der Rückbank an uns vorbeifährt.
»Erna also?«, meint Lena und nimmt neben mir auf einem der Stühle Platz. Ihr Gesicht liegt im Schatten, die rotgoldenen Haare leuchten jedoch in der Sonne. »Was war denn los?«
»Nichts.«
»Soso. Ich kann es mir schon vorstellen. Wahrscheinlich hat dich Thomas mal wieder mit seinen langweiligen Geschichten übers Insektensammeln genervt.«
»Das ist schon ein sonderbares Hobby.« Ich schlürfe an meinem Chai Latte und bemerke die Sorgenfalten um Lenas große helle Augen.
»Meinst du, diese Mona will ihre SUPPENKÜCHE wirklich aufgeben?«
»Ach, das hat Thomas sicher nur gesagt, weil er sich nichteingestehen möchte, dass man nicht nur mit reden irgendetwas in dieser Sache verändern kann.«
Ich verstecke mich und den Gedanken, dass Lena nicht ahnt, wie recht sie unter Umständen damit hat, dass Thomas nicht allein durch das Gespräch etwas bewirkt hat, hinter einem Husten.
»Weißt du, Lena, vielleicht solltest du dich doch mal ganz offen mit Thomas über alles unterhalten, was dir so durch den Kopf geht.« Und durch den Unterleib, hätte ich fast hinzugefügt.
»Wie kommst du denn jetzt darauf? Du hast mir doch geraten, ich solle es für mich behalten. Und ich habe das eingesehen. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich brauche das jetzt irgendwie. Ich brauche Patrick. Mit Thomas ist alles so schwerfällig geworden. Ich arbeite den ganzen Tag und will abends nur noch schlafen, worauf mein Mann meint, ich sei langweilig. Ich will alleine baden, er will Sex. Ich möchte ungestört einen Liebesfilm gucken, doch anstatt einen Männerabend zu machen, sitzt Thomas die ganze Zeit neben mir auf dem Sofa und stöhnt und verdreht entnervt über Hugh Grant die Augen und meint, das wäre alles unrealistisch. Ich möchte Zora das Meer zeigen, Thomas möchte lieber sparen. Ich mag die Rollläden unten, er mag sie oben.«
»Hört sich doch nach einer ganz normalen Beziehung an. Erst lodert die Leidenschaft, dann kommen die Kompromisse.«
Lena lächelt schief.
»Mein Gott, ja, das stimmt! Wir müssen umgehend Astrid warnen.«
11.
Willkommen
M ein erster
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