Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
wirklicher Arbeitstag im Büro ähnelt dem meiner Einschulung. Ich bin nervös. Habe den Bauch voller Sorgen und das Herz voller Hoffnung. Allein unter Männern, das bedeutete: keinen Zickenkrieg und keine Verbündeten! Wie alles im Leben hat die Sache mal wieder ihre Vor- und Nachteile. Ich beschließe, mich jedoch vorerst auf die Vorteile zu konzentrieren.
Eine dampfende Tasse Kaffee, die Jörg aus der Grafik mir gerade vorbeigebracht hat, steht neben dem Computer, den Willy aus der IT für mich mit der Powerflatrate ausstattete, und einem hellblauen Gießkännchen, das Fred vom Booking mir gerade anreicht, um die Orchideen auf dem Fensterbrett mit Blick auf den Rhein weiterhin am Leben zu erhalten.
»Orchideen gehören zur Gattung der Knabenkräuter. Und sie sind die Hungerkünstler unter den Pflanzen! Einmal gießen pro Woche reicht völlig. Wusstest du das?«, fragt Fred mich und lässt mit abgespreiztem kleinen Finger etwas Wasser aus der Gießkannenzotte auf die kräftigen Orchideenblätter plätschern, von denen es in kleinen Rinnsalen in die Erde sickert. »So gesehen haben Orchideen und Männer nicht viel gemeinsam. Hihi.«
Ich lächle mit und versuche, mich wieder auf den Artikel zu konzentrieren, den ich über mich selbst verfassen muss.
»Ich kann die Pflege für dich übernehmen! Ist kein Problem. Ich kenne mich aus mit der Flora.«
»Danke«, antworte ich, tatsächlich dankbar, während ich imAugenwinkel bemerke, wie zwei Tische weiter einige Kollegen die Augen verdrehen.
»Nicht dass du denkst, ich bin schwul! Das denken immer alle … ach, was soll’s«, meint Fred und lehnt sich tief über den Schreibtisch, um mir ins Ohr zu flüstern: »Ich vögle Männer!«
»So?«, flüstere ich zurück.
»Aber das ist sehr schlecht, wenn man bei einem Männermagazin arbeitet. Andererseits, wahrscheinlich bin ich die Quotenschwuchtel.«
»Wahrscheinlich nicht schlechter, als die Quotenfrau zu sein.«
Ich zwinkere Fred zu und freue mich, dass nicht nur die Männer, die auf Frauen stehen, mich freudig im MeMa aufnehmen, sondern auch die Männer, die Männer lieben. Und schon ist meine Sorge um zu wenig Zickenkrieg und Verbündete dahin.
»Willkommen im Club, Schwesterchen!«, verabschiedet sich Fred in den vorderen Teil des Büros. Aktuell überwiegen eindeutig die Vorteile. Wäre da nur nicht …
»Moritz?«, sage ich, als dieser, ohne ein Wort oder einen Blick zu verlieren, an diesem Morgen an meinem Schreibtisch vorbeigeht. Warum, weiß ich selbst nicht. Er geht mir auf die Nerven. Er bildet sich ein Urteil über mich, obwohl er mich nicht kennt. Er ignoriert mich an meinem ersten Arbeitstag. Ich sollte ihn ebenfalls ignorieren, so wie kultivierte Erwachsene das nun mal machen. Stattdessen blicke ich in seine dunklen Augen, registriere seine genervte Haltung, ärgere mich darüber, dass er sich nicht mal ganz zu mir umdreht, und suche nach irgendetwas, das ich ihn fragen könnte.
»Was ist?«
»Ich wollte nur wissen, ob … du schon ein Foto ausgesucht hast. Ich meine, von mir.«
»Ja.«
»Okay, gut.«
Wir starren uns wortlos an.
»Sonst noch was?«
»Nein, vielen Dank!«, antworte ich und wende mich meinem Bildschirm zu, um den Spiegelstrich »selbstbewusste Frau mit Konversationstalent« wieder zu löschen. Im nächsten Moment springe ich auf, um Moritz zu folgen. Da war nämlich noch was. Als er die Schritte in seinem Rücken vernimmt, dreht er sich zu mir um.
»Was?«
»Ich wollte dir nur sagen«, nuschle ich genervt, »dass mir Herr Bender erzählt hat, dass mein Interview, nachdem ich es vor deinen Augen in sein Fach gelegt habe, erst zwei Tage später in einem anderen Fach wieder aufgetaucht ist.«
Moritz sieht mich mit schiefem Kopf und geweiteten Augen an, als würde ich ihn gerade mit einer lahmen Geschichte von meinem letzten Supermarkteinkauf langweilen und ihm sei nicht ganz klar, warum. Seine Ignoranz treibt mich derart in den Wahnsinn, dass ich doch tatsächlich die Beherrschung verliere und mich hinreißen lasse, ihm das Folgende mit aufeinandergepressten Zähnen an den attraktiven, unschuldig dreinblickenden Kopf zu werfen:
»Du hast das Interview herausgenommen. In deiner kranken Art und weil du mich nicht leiden kannst und nicht willst, dass ich hier arbeite.« Moritz’ Blick verdüstert sich, ich rede weiter: »Und dann hast du Skrupel bekommen und es doch wieder zurückgelegt! In das Fach von Herrn Rentner, ich meine Renter, damit nicht auffällt, dass das
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