Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Interview erst jetzt wieder auftaucht. Oder vielleicht hast du auch gehofft, dass Herr Bender mich nicht mehr einstellt, wenn er es erst so spät in Händen hält.«
Moritz verschränkt die Arme. Seine Augen ähneln einem Gewitterhimmel, während sein Kopf kurz nickt.
»Ja.«
»Was ja?«
»Ich habe das Interview herausgenommen. Und dann habe ich es nach zwei Tagen wieder in das Fach vom Renter gelegt, damit nicht auffällt, dass das Interview verschwunden war.«
Er sagt das alles, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne irgendeinen Teil seines Körpers zu bewegen, dass es mir kalt den Rücken herunterläuft. Fassungslos starre ich in seine düsteren Augen.
»Aber wieso?«
»Wegen meiner kranken Art und weil ich dich nicht leiden kann und nicht will, dass du hier arbeitest.«
*
In Wahrheit will man die Wahrheit ja gar nicht wissen. Den Rest des Tages, während ich über meinem Artikel brüte, ohne eine einzige Zeile zu verfassen, grüble ich darüber nach, ob ich mich nun mehr darüber ärgere, was Moritz gemacht hat, oder vielmehr darüber, dass er nicht mal den Anstand besitzt, mich diesbezüglich anzulügen!
Ich darf nicht so viel darüber nachdenken. Ich beginne schon wieder, mich da in etwas hineinzusteigern. Wenn ich Astrid Glauben schenken soll, graben sich unbemerkt kleine Furchen in die Haut um Augen und Mund, während man wütend ist.
Also ausatmen. Einatmen. Haut um Augen und Mund entspannen. Arbeiten. Ich versuche, meine Gedanken etwas zu entwirren, bemerke jedoch, sobald die Konzentration auf eine Entspannung nachlässt, dass mein Blick sogleich, ohne zu fragen, an meinem Computerbildschirm vorbei zur anderen Seite des Büros wandert. Dort steht sein Schreibtisch. Ausgerechnet. Verbissen sieht Moritz auf seinen eigenen Bildschirm, klickt hin und her, während erdie Brauen zusammenzieht oder die Lippen aufeinanderpresst. Einziger Trost in dieser Situation ist mir, dass sich gerade die gleichen Furchen in seine Haut neben Augen und Mund graben. Fast steigt meine Laune schon wieder ein bisschen. Ich wüsste zu gern, welches Bild er nun von mir ausgesucht hat. Gedankenverloren kaue ich am Ende eines Bleistifts, als ich merke, dass dort ein Radiergummi sitzt. Der Stift wandert in eine Schublade, meine Gedanken zurück zu Moritz. Wie wahnsinnig er mich macht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einem überheblicheren, rechthaberischeren, eingebildeteren Typen begegnet zu sein. Und das, obwohl ich aufgrund meines Fahrstils in meinem Leben schon x-mal von irgendwelchen Streifenpolizisten angehalten wurde!
Und außerdem: Ist es in der Branche eigentlich nicht so üblich, dass Fotograf und der zu Fotografierende sich hinterher über die Auswahl des besten Bildes austauschen? Und wenn Moritz erneut seine Unprofessionalität unter Beweis stellen will, wie hoch sind dann wohl meine Chancen, dass ich wie eine verrückte Schreckschraube mit dicken Augenringen und bescheuert am Kopf klebenden Haaren aus dem nächsten MeMa -Magazin blicke? Das geht ja wohl nun wirklich zu weit! Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gefasst, da steuere ich erneut auf den Schreibtisch am anderen Ende des Büros zu. Ich lasse mich doch nicht von irgend so einer selbstverliebten, korrupten Gurke ausbooten.
»Moritz!«
»Ich bin beschäftigt. Hat das Zeit bis später?«, antwortet er, ohne von seinem Bildschirm aufzublicken.
»Nein. Das hat es nicht! Ich brauche das Bild von mir, um den Text besser darauf abstimmen zu können.«
Jetzt sieht Moritz doch hoch und betrachtet mich, als hätte ich gerade das Albernste gesagt, was er jemals gehört hat.
»Okay.«
»Okay?«
»Ja. Ich schick es dir später per Mail.« Moritz wendet sich wieder seinem Bildschirm zu und fährt mit der Maus in seiner linken Hand über das darunter liegende Pad.
»Gut!«, erkläre ich halb patzig, halb überrascht und begebe mich zurück an meinen Schreibtisch. Um nicht weiter über Moritz nachdenken zu müssen und mich selbst davon abzuhalten, mich weiter wie eine aufgebrachte, gekränkte Kuh zu verhalten, öffne ich meinen Facebookaccount und kontaktiere Lena, Astrid, Alex und Tim mit der Frage, ob sie mich beschreiben können, um dem Artikel über mich selbst ein bisschen mehr Realität zu verleihen. Obwohl alle vier online sind, antwortet mir keiner. Kurz bevor ich mich entschließe, in meinem Artikel den Satz: Hat keine weiteren sozialen Kontakte! aufzunehmen oder noch schlimmer: Steuer geht immer-Sebastian anzuschreiben, antwortet mir Lena.
Lena
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