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Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Titel: Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Krzywik-Groß , Torsten Exter , Stefan Holzhauer , Henning Mützlitz , Christian Lange , Stefan Schweikert , Judith C. Vogt , André Wiesler , Ann-Kathrin Karschnick , Eevie Demirtel , Marcus Rauchfuß , Christian Vogt
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vor.

    „Ehe Anna in Aquis landet, holt sie in der Kabine noch einmal die Puppe hervor. Es ist eine wundervolle Puppe, blondgelockt mit himmelblauen Augen, vollkommen, mit schimmernder Porzellanhaut. Kristallklar sehen ihre Augen die Spionin an – und dann sagt die Puppe: ‚Nimm mich nicht mit zum Kaiser. Ich will zu einem Kind.‘ Anna fragt sich, ob sie es sich eingebildet hat, und will die Puppe zurück in ihre Reisetasche stecken, doch die Augen flehen, und die Puppe stellt sich sogar mit Namen vor: ‚Schenk mich einem Kind. Das mich Ynge nennt!‘, fleht und bettelt die Puppe. Vielleicht droht sie auch, sie zu verbrennen. Möglicherweise sieht sie ihr in die Augen und hypnotisiert die Meisterspionin. So oder so ist Anna verstört, bestürzt, als sie das Luftschiff in Aquis verlässt. Sie übernachtet bei ihrem Bruder, und am anderen Morgen ist sie so weit, dass sie die Puppe keinen Kilometer mehr ertragen kann. Ihr Lächeln ist zittrig, als sie die kleine porzellanene Gestalt mit den Kleidern, die Ihre Frau genäht hat, Herr Engelhardt, vor ihrer einzigen Nichte auf den Tisch neben den Haferbrei setzt. ‚Æmelie‘, sagt sie, ‚ich habe dir was mitgebracht. Hier ist deine neue Freundin.‘
    Æmelie, das einsame, blasse Kind, das unter der väterlichen Strenge und dem mütterlichen Sauberkeitsdrang leidet, lächelt und zeigt ihre Zahnlücken. Wie alt mag sie sein? Acht, neun Jahre?
    ‚Sie heißt‘, beginnt Anna, und Æmelie nimmt ihr erfreut die Worte aus dem Mund: ‚Ynge. Das ist Ynge.‘
    Damit gehen Æmelie und Ynge aus Annas Leben, die sich entweder nicht erinnern kann oder nicht erinnern will und dafür sogar ins Kittchen geht, als Hochverräterin, die angeblich den Franzosen in die Hände gespielt hat. Ynge dagegen wird in Æmelies einsamen Kindertagen die Verbündete gegen die strengen Eltern. Ist das nicht eine schreckliche Geschichte? Aber wissen Sie was – ich glaube, so ist es. Ich glaube, Æmelie hat Ynge immer schon reden gehört, und wer könnte ein besserer Ratgeber für ein Studium der Naturwissenschaften sein als ein Dämon?“

    „Sie irren. Meine Puppen sprechen nicht!“, sagt der Puppenmacher ungestüm. „Das haben sie nie getan.“
    „Sie hören sie nicht. Descartes hat dafür gesorgt! Alles, was Sie nicht denken, ist nicht.“
    „Sie drehen ihm das Wort im Mund um! Sie überinterpretieren! Die Geschichte mit der Spionin – die Geschichte mit diesem anderen Mädchen – Sie sind entweder verrückt oder eine Schwindlerin!“
    „Was war mit den Dämonen? Haben Sie Ihren Dämon je gefunden?“
    „Den Laplace’schen? Nein, nie. Vielleicht ist er zu groß für einen Puppenkörper.“
    Elisabeth hat wieder angefangen, ihre Hände zu reiben, und ihr Blick huscht vom einen zur anderen.
    „Sie ist mir unheimlich“, sagt Tomke. Der Puppenmacher hebt drohend die Büchse in Tomkes Richtung.
    „Was den Maxwell’schen Dämon angeht: Er ist wieder da. Es ist der falsche Dämon, aber er ist wieder da. Zusammen mit vielen anderen, die ich im Laufe der Zeit gefunden habe. Sie alle – sitzen hier um Sie herum.“
    Tomke lässt den Blick schweifen und beachtet die Waffe so wenig wie möglich.
    „Welche gibt es denn noch?“
    „Immer nur die falschen. Ich sage ihnen nicht mehr Bescheid – den Franzosen. Elisabeth ist unglücklich ohne ihre Dämonen, und ich bin ein alter Mann, was soll ich mit all dem Geld, das der König mir geboten hat? Mit der Pension? Meine Frau ist tot, und es wird nicht lange dauern, bis ich ihr folge. Ich bin kein Forscher mehr. Nur noch ein Puppenmacher, und der Traum vom Laplace’schen Dämon war ein lebenslanger Albdruck.“
    Er erhebt sich seufzend, drückt eine Faust in den knackenden Rücken.
    „Nun gehen Sie.“
    Im Raum ist es merklich wärmer geworden.
    „Soll ich durch die Haustür gehen, damit ich nicht wieder die warme Ofenluft hinauslasse?“, fragt Tomke, die nicht glaubt, dass er sie nun noch erschießen wird. Sie sieht sich um, versucht herauszufinden, wo der Ofen steht.
    „Augenblick. Es gibt gar keinen Ofen“, sagt sie. „Ist es … ist …“
    Der alte Puppenmacher lächelt schmal. „Richtig. Der Dämon – und Sie? Sind Sie von den Deutschen oder den Franzosen? Was haben Sie mit dem Mädchen gemacht, dessen Puppe Ynge wurde? Warum kam der Dämon zurück? Wessen unstillbare menschliche Neugierde ist das, der Sie hierher gefolgt sind?“
    „Nur meine eigene“, versucht Tomke ihn zu beruhigen.
    „Öffnen Sie die Tür!“
    „Hören Sie,

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