Eis und Wasser, Wasser und Eis
verschlossen sein würde, wie kräftig sie auch ans Tor hämmerte. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, dann runzelte sie die Stirn über sich selbst. Was machte sie da eigentlich? Schließlich hatte sie es eilig. Also rückte sie ihre Umhängetasche aus echtem Skai zurecht, die Tasche, die sie sich über ein Jahr lang gewünscht und endlich zum Geburtstag bekommen hatte, richtete sich auf und ging los. Ingalill wartete ja. Und Fräulein Frisch.
Björn stand an der Schwelle zu seinem Zimmer und zögerte. Konnte er das Licht ausmachen? Er sehnte sich nach etwas Dunkelheit, wusste aber gleichzeitig, dass er nicht mehr frei in seinen Beschlüssen war. Jede Handlung musste vor ihrer Ausführung abgewogen und beurteilt und anschließend mit der Reaktion konfrontiert werden, die von den Mädchen auf der Straße draußen zu erwarten war. Momentan trugen sie ihn auf Händen, so hoch, dass er fast die Wolken berühren konnte, aber Karl-Erik von der Plattenfirma hatte immer und immer wieder betont, dass sie ebenso die Macht hatten, ihn fallen zu lassen. Deshalb mussten sie mit großer Sorgfalt behandelt werden. Björn musste ihnen so nahe kommen, dass ihre Träume am Leben gehalten wurden, sich aber gleichzeitig so weit auf Abstand halten, dass die Träume nicht von etwas zerstört wurden, das der Wirklichkeit ähneln könnte. Also gab es nur eins zu tun. Er strich sein Polohemd glatt und fuhr sich energisch mit der Hand durchs Haar, ging dann mit festem Schritt durch das beleuchtete Zimmer bis zum Fenster und tat so, als suchte er etwas auf dem Schreibtisch. Es dauerte nur einen Moment, bis die Mädchen ihn entdeckten und zu schreien anfingen, ein Schrei, der zwischen Jubel und Weinen angesiedelt war, ein Schrei, der ihn bereits seit Wochen verfolgte und den er insgeheim als ein Gefängnisgitter ansah. Er tat überrascht, richtete sich auf, schaute aus dem Fenster und lächelte, wobei er die Hand zum Gruß hob. Dann drehte er sich schnell um und zog sich zurück, als hätte ihn plötzlich jemand angesprochen oder als wäre er gezwungen, etwas ganz Wichtiges zu erledigen.
Nein. Er konnte das Licht nicht löschen. Nicht, solange die Mädchen vor dem Haus standen. Sie würden das als eine feindliche Handlung betrachten. Andererseits konnte er ihnen nicht erlauben, sich sattzusehen, denn dann würde er sich sofort in einen ganz normalen Jungen in einem ganz normalen Haus verwandeln, und für jemanden, der vor Kurzem die Wolken berührt hat, wäre das eine tiefe Erniedrigung. Einen Moment lang stand er unschlüssig neben dem Fenster, dann drückte er sich an die Wand und glitt vorsichtig seitwärts zur Tür, sorgfältig darauf bedacht, dass sein Schatten nicht zu sehen war. Vielleicht konnte er sich für eine Weile in Susannes Zimmer legen. Es war ja bereits dunkel. Und die Mädchen schauten nicht in diese Richtung.
Sie hatte eine neue Tagesdecke. Weiß. Spitzenartig. Sie ähnelte diesen kleinen Sterndeckchen, die seine Großmutter immer gehäkelt hatte. Vielleicht waren ja hundert kleine Großmutterdeckchen zu einem großen Geburtstagsgeschenk geworden. Ja. So konnte es sein. Und dann würde auch er bald eine neue Tagesdecke bekommen. Was nicht so schlimm wäre. Er hoffte nur, dass sie nicht schwarz-weiß sein würde. Susannes Großmutter schenkte ihm jetzt seit acht Jahren kleine weiße und schwarze Deckchen, seit er ihr als Elfjähriger anvertraut hatte, dass das die Farben des Fußballvereins von Landskrona waren und dass er in dem Verein spielen wollte, wenn er groß war. Sie waren so hässlich, dass es ihn schon fast gruselte.
Björn legte sich hin und verschränkte die Hände im Nacken, lag eine Weile reglos da und versuchte, nicht an die Mädchen vor dem Haus und an all die anderen Mädchen zu denken. Was wollten sie von ihm? Wirklich? Und warum ausgerechnet von ihm? Hinter den anderen Jungs der Band schrien sie nie so laut her, das Rufen vor dem Bühneneingang schwoll nie zu einem Gebrüll an, bevor er selbst herauskam. Das war eine Tatsache; eine Tatsache, die alle anderen fünf zu ignorieren versuchten, die aber trotzdem nervte, ärgerte und irritierte. Erst beim Proben vorgestern brach Tommy mitten in einem Stück ab und erklärte ganz cool, dass es natürlich was für sich hatte, so unglaublich schnuckelig zu sein, aber noch besser wäre es, wenn man auch noch den Ton halten könnte. Niclas und Bosse hatten dazu gelacht und Peo einen schnellen Wirbel auf der Trommel geschlagen, bevor er Björns Blick begegnete
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