Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
Vom Netzwerk:
Birger. Über andere Fragen war er bereit zu diskutieren und zu verhandeln, sie abzuwägen und einen Kompromiss zu finden, aber über die einzelnen Schuhe im Keller ließ er nicht mit sich reden. Sie durften nicht weggeworfen werden. Irgendwann einmal würden sie sicher noch von Nutzen sein.
    Inez hatte sich so lange über die Sache mit den Schuhen geärgert, dass sie etwas gehässig wurde, wenn Birger seinen Vortrag hielt. Gewiss doch, sagte sie. Natürlich sollte er seine einzelnen Schuhe aufbewahren. Schließlich konnte doch jeden Moment eine Person auftauchen, die genau wie er war, nur umgekehrt sozusagen, ein Mann mit großem rechten und kleinem linken Fuß. Dann konnten dieser Mann und Birger miteinander Schuhe tauschen und danach glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben. Und da dieser gesegnete Zustand ungefähr zum gleichen Zeitpunkt einträfe, an dem Pfingsten und Ostern auf einen Tag fielen …
    Birger stoppte seine Gabel auf halbem Weg zum Mund.
    »Was soll das?«, sagte er überrascht. »Bist du sauer?«
    »Wieso sauer? Ich wollte doch nur …«
    Inez brach mitten im Satz ab, sich plötzlich darüber bewusst werdend, dass sie zu weit gegangen war. Björn und Susanne fanden sie gar nicht witzig. Sie saßen mit verschlossenen Gesichtern da und schauten auf ihre Teller, so wie sie schon so oft zuvor schweigend dagesessen und auf die verblichenen Blumen auf dem Alltagsporzellan geguckt hatten, bemüht, keinen Blick auf Inez zu richten. Ihr stiegen die Tränen in die Augen, als ihr plötzlich klar wurde, dass Björn sich danach sehnte, von ihr fortzukommen, dass er am liebsten vom Tisch aufgestanden und verschwunden wäre, dass er sich wo auch immer im Haus verstecken wollte, wenn er nur außer Hörweite ihrer Stimme käme. Er fand einfach, dass sie anstrengender als üblich war. Alle drei fanden, dass sie anstrengender als üblich war.
    Und vielleicht hatten sie sogar recht. In diesen Tagen war es anstrengender als sonst, Inez zu sein. Die Irritation war in ihrem ganzen Körper zu spüren, sie juckte auf der Kopfhaut, kribbelte in der Luftröhre, ließ die Nasenschleimhäute anschwellen und die trockene Haut in weiteren zehntausend unsichtbaren winzigen Rissen reißen. Es war unbeschreiblich irritierend, so irritiert zu sein, dass es nirgends Erleichterung zu finden gab. Sie hatte schon verstanden. Gestern, bevor Björn kam, hatte sie ein heißes Bad genommen und sich anschließend am ganzen Körper mit einer fetten Creme eingerieben, eine Haarpackung mit Lanolin und warmen Handtüchern gemacht und außerdem heimlich die Schlagsahne verschlungen, die übrig geblieben war, als sie die Torte gemacht hatte, die sein Willkommensgruß sein sollte. Irgendwo im Hinterkopf hatte sie gehofft, dass all das Weiße, Fette, Cremige in sie eindringen würde, von außen nach innen und von innen nach außen und sie glatt und weich und insgesamt angenehm machen würde. Doch es hatte nichts genutzt. Ihre Haut war immer noch rissig und trocken, die Kopfhaut schuppte, die Irritation juckte. Und bevor sie sich selbst zur Ordnung rufen konnte, huschte ihr der verbotene Gedanke durch den Kopf. Er gehört mir!
    Nein. Sie durfte es sich nicht gestatten, das zu denken. Sie schloss die Augen und senkte die rissigen Hände in das heiße Abwaschwasser, stand reglos ein paar Sekunden lang da und sah, wie sie rot wurden, ließ dann ihren Blick über die sommersprossigen Unterarme wandern, während sie sich gedankenverloren auf die Unterlippe biss und ein Stück trockene Haut abzupfte. Das nackte Fleisch glänzte einen Moment lang wie eine geschälte Weintraube, bevor die Poren sich eilig mit Blut füllten. Das Schwitzen tat ihr gut, es erinnerte sie daran, dass sie sich anstrengen musste. Nicht sauer sein durfte. Sich nicht irritieren lassen durfte. Sie musste nett sein, jetzt, nachdem Björn endlich wieder zu Hause war. Nett und freundlich, sanft und verständnisvoll. Und wenn es sie ihr Leben kosten sollte.
    »Ich verspreche es«, sagte sie halblaut zu sich selbst, milderte dann jedoch Worte wie auch Gedanken und wandte ihren Blick nach innen.
    Und während sie sich dem Abwasch widmete, sah sie vor ihrem inneren Auge, wie Elsie – ihre Zwillingsschwester und ihr Spiegelbild, Björns Mutter, aber nicht Susannes – an Deck des amerikanischen Atomeisbrechers Twilight stand, der sich irgendwo in einem nördlichen Meer durch das Packeis drängte. Jemand legte eine grobe Hand auf Elsies Nacken, hob das krause, sonderbar farblose Haar an und

Weitere Kostenlose Bücher