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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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Britt-Marie Samuelsson, die doch nie das bekommen hatte, was Susanne selbst bekommen hatte? Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gab es eine weitere Schicht unter der Schuld, eine noch tiefere Schicht der Verachtung. Wie kann man so dumm sein, dieselbe Geschichte sein ganzes Leben lang herzubeten? Und wie kann man einen so schlechten Geschmack haben, sich die Haare fast blaurot zu färben? Und welche Armut ist so allumfassend, dass man nicht einmal seine Stiefel putzen kann?
    Dennoch war auch das nicht die Antwort. Das sah sie jetzt ein. Es war nicht ihre Verachtung, die sie hatte »Igitt« sagen lassen. Nicht die Rücksicht auf Björns Gedächtnis. Sondern das, was sie unter Britt-Maries auswendig gelernten Phrasen wiedererkannte. Die Bosheit. Die Boshaftigkeit der Underdogs, die wie eine Katzenkralle hervorschnellen und tiefe Risse schlagen konnte, sowie sich ihr die Gelegenheit dazu bot. Eine Boshaftigkeit, ähnlich der Ingalills.
    Igitt.
    Sie schüttelt sich. Ist zurück in der Messe der Oden. Sitzt neben Ulrika, die keinerlei Ansatz von Boshaftigkeit zu haben scheint, gegenüber Anders, der aussieht, als könnte er seine Ansätze gut in Schach halten. Zumindest meistens. Sie reden jetzt miteinander, und ihre Augen strahlen. Susanne kann nicht anders, sie muss über sie lächeln. Aha. Verliebt. Sie hebt ihre Kaffeetasse und prostet ihnen stumm zu. Viel Glück.
    »Was für ein herrlicher Tag«, sagt Ulrika. »Also, ich gehe jetzt raus an Deck.«
    »Ja«, sagt Anders atemlos. »Ich auch.«
    Ulrika sieht Susanne an, zögert kurz:
    »Du entschuldigst uns?«
    Susanne lächelt sie an:
    »Aber natürlich. Wir sehen uns später.«
    »Ja«, wiederholt Anders prompt. »Später.«

Und es ist wirklich ein herrlicher Tag, vielleicht der letzte herrliche Sommertag auf dem Eis überhaupt. Einige Minusgrade. Strahlende Sonne. Blauer Himmel. Und eine Unendlichkeit von ungebrochenem Eis zu beiden Seiten der Oden, weißes Eis mit schmalen türkisen Streifen. Anders überfällt der heftige Impuls, über diese weißen Flächen hinauszuschreien, aber er tut es natürlich nicht. Er geht nur an den Bug vor und stellt sich dicht neben Ulrika auf den Fußtritt, lehnt sich wie sie über die Reling und schaut sich um.
    »Siehst du!«
    Ulrika zeigt auf ein kleines Loch, einen türkisen kleinen Fleck in der weißen Unendlichkeit, und einen Moment lang sieht er zwei Fische wie schwarze Yin- und Yang-Zeichen im Schmelzwasser liegen, dann wälzt sich die Masse der Oden über sie, und sie werden unter den Schiffsrumpf gesogen, vom Wasser geschluckt und verschwinden.
    »Polardorsche!«
    Ulrika klingt richtig glücklich. Er sieht sie an, erwidert ihr Lächeln.
    »Meinst du, die kommen durch?«
    Sie lacht. Ihre Zähne leuchten weiß.
    »Natürlich kommen sie durch. Aber es ist ganz ungewöhnlich, sie zu sehen. Letztes Jahr hatten wir einen Typen dabei, der ausgerechnet an Polardorschen interessiert war. Er stand stundenlang da und hat hinausgespäht, jeden Tag, aber er hat nicht einen gesehen … Und dann sehen wir gleich zwei. Einfach so.«
    »Wir haben eben Glück.«
    Sie sieht ihn lächelnd an, legt dann den Arm um ihn und reibt ihre Wange an seiner Brust, streicht damit über seine blaue Jacke.
    »Ja«, sagt sie. »Das glaube ich auch. Ich glaube wirklich, du und ich, wir beide haben Glück.«
    Er pfeift, als er seine Kabine betritt. Er kann gar nicht anders, er muss pfeifen, obwohl er weiß, wie albern das ist, und obwohl er weiß, dass er vollkommen unmusikalisch ist. Allerdings … Plötzlich hört er auf, bleibt ganz still stehen. Wer hat gesagt, dass es albern ist zu pfeifen? Und wer hat ihm eingeredet, er sei unmusikalisch?
    Eva. Aber jetzt ist er von Eva befreit. Jetzt kann er pfeifen, so viel er will. Und sich freuen, so oft er mag.
    Ulrika ist Witwe. Sie ist schon seit fünfzehn Jahren Witwe. Sie hat außerdem einen Sohn, einen Jungen von neunzehn Jahren, der gerade angefangen hat, Medizin zu studieren. Plus ein Elternpaar, das ihr geholfen und sie unterstützt und sich an jedem Tag ihres Lebens über sie gefreut hat. Sie ist ruhig und zufrieden, verantwortungsvoll und gewissenhaft. Glücklich. Der erste wirklich glückliche Mensch, der ihm begegnet ist. Und sie wird ihn mit ihrem Glück anstecken, das weiß er. Das kann er jetzt schon spüren.
    Sie haben sich draußen auf dem Vorderdeck umarmt. Standen einander gegenüber und haben sich in den Arm genommen, haben der ganzen Welt gezeigt, oder zumindest jedem Menschen, der es

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