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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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gab ihr einen hastigen Kuss auf die weiße Haut darunter. Sie tat, als spürte sie es nicht, beugte sich nur ein wenig tiefer über die Reling und ließ den Eiswind in die Wangen beißen.
    »A penny for your thoughts …«, sagte der Mann hinter ihrem Rücken, während er seine Arme um sie schlang und sie so fest an sich zog, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Sie wand sich ein wenig, doch das merkte er nicht.
    »Ich denke an ein rotes Haus irgendwo.«
    Der Wind riss ihre Worte mit und zerfledderte sie. Der Mann beugte sich vor und legte seinen Mund an ihr Ohr.
    »What? I couldn’t hear you.«
    Die Worte kitzelten am Trommelfell. Elsie legte die Hände auf die Reling, stieß sich ab und machte sich frei.
    »Nothing. Let’s go inside. It’s freezing out here.«
    Inez seufzte, schloss die Augen und ließ sich tiefer in ihre Fantasie sinken.

Denn das war nur eine Fantasie. Tatsächlich saß Elsie zu diesem Zeitpunkt in einem Café der Lime Street Station in Liverpool und starrte auf eine Kachelwand. Seit sehr langer Zeit hatte sie niemand mehr in den Nacken geküsst, der Eisbrecher Twilight existierte gar nicht, den hatte sie sich nur für einen Brief an ihre Schwester vor ein paar Jahren ausgedacht und dann wieder vergessen, und sie dachte ganz und gar nicht an ein rotes Haus irgendwo. Sie dachte an die Wand vor sich. Warum kleidet man ein Café ganz mit Kacheln aus? Das konnte sie nicht begreifen. Wurden die Räume des Nachts an eine Schlachterei vermietet und dann morgens mit dem Schlauch abgespritzt? Oder veranstaltete man nächtliche Orgien, die diverse unhygienische Spuren an der Einrichtung hinterließen?
    Sie schmunzelte vor sich hin und rührte in ihrer Tasse. Eine britische Orgie mit Gin und höflicher Sittenlosigkeit war vielleicht gar nicht so dumm. Wenn man nun einmal in dieser Richtung veranlagt war, hieß das. Wenn man nicht stattdessen seine Befriedigung in den eher stillen Freuden der Einsamkeit fand.
    Und genau diesen Freuden konnte Elsie sich in aller Ruhe widmen, nachdem sie erst am Nachmittag abgemustert hatte und noch nicht einmal mit sich selbst ins Reine gekommen war, was sie als Nächstes unternehmen würde. Sollte sie sich nach einer Weile erheben, auf den Bahnsteig gehen, einen Zug in den Norden nach Newcastle nehmen und dann die Fähre nach Schweden, oder lieber nach Süden, nach London? Oder sollte sie lieber durch die große Glastür auf die Straße hinausgehen und sich ein Hotel in der Nähe suchen? Sie wusste es nicht. Aber sie meinte, es wäre sicher interessant zu sehen, wofür sie sich entschied. Sie wollte den Prozess der Entscheidungsfindung sehr genau verfolgen, um zu sehen, ob es die Füße, der Bauch oder irgendeine unbekannte kleine Drüse war, tief verborgen im Gehirn, die den Entschluss fasste.
    Andererseits wusste sie nicht, ob es die Füße, der Bauch oder diese unbekannte Drüse war, die sie dazu gebracht hatte, nachmittags abzumustern. Vor nicht einmal einer Woche hatte sie geglaubt, dass sie nach ein paar Tagen in Liverpool noch einmal mit der M/S Nordic Star zurück über den Atlantik fahren würde. Wollte irgendwo in Kanada abmustern, mehr als ein Jahr Heuer einkassieren und dann mit einer dicken Brieftasche nach New York fahren. Sie hatte sich nach New York gesehnt. Und trotzdem hatte sie vor drei Tagen ihre Reisetasche hervorgeholt, und als sie ihre Kajüte für die letzte Nachtwache verließ, war alles gepackt und bereit. Der Kapitän freute sich nicht. Ganz im Gegenteil. Er hatte geschimpft, dass ihr buchstäblich das Haar um die Ohren sauste.
    »Aber warum denn?«, fragte der Bootsmann, als sie an Deck standen und eine rauchten, während das Schiff im braunen Wasser des Mersey stampfte. »Ich dachte, dir gefällt dieses Schiff.«
    Elsie verzog ihr Gesicht zu einer unglücklichen Grimasse. Sie hatte keine ehrliche Antwort parat. Natürlich gefiel ihr das Schiff. Es war tatsächlich eines der besten, auf denen sie je gewesen war, trotzdem wusste sie, dass sie ihre Meinung nicht ändern konnte.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie schließlich. »Ich bin seit über einem Jahr nicht mehr in Schweden gewesen.«
    »Und du kannst nicht noch einen Monat warten?«
    Elsie drückte die Kippe an der weißen Reling aus, der Wind blies die Asche davon, ließ jedoch einen schwarzen Abdruck zurück. Ohne nachzudenken, zog sie ihren Uniformärmel über die rechte Hand und wischte ihn weg, schaute dann etwas verwundert auf den Ruß auf dem blauen Gabardinestoff. Der Fleck

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