Eis und Wasser, Wasser und Eis
einem Wohnzimmer ohne Bilder und zuerst glaubte, es wären Einbrecher gewesen. Was für ein Idiot er doch war! Wie ein Wahnsinniger ist er herumgerannt und hat ihren Namen gerufen, voller Angst, sie könnte irgendwo verletzt oder tot liegen. Ja. Er konnte sich an seine Fantasien genauso deutlich erinnern wie an das, was wirklich passiert war: das Bild in seinem Kopf, als er die Hand nach der Klinke der Badezimmertür ausstreckte und das vor sich sah, von dem er glaubte, er würde es zu sehen bekommen, wenn er öffnete – Eva in einer Blutlache auf dem Boden! –, und seine vollkommen überwältigende Verwunderung, als er die Tür öffnete und sah, dass das Badezimmer leer war. Er erinnert sich sogar daran, wie er ein paarmal blinzeln musste, um sich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich nicht dort war, dass sie nicht auf dem blau-weiß karierten Fliesenboden lag und mit leerem Blick an die Decke starrte.
Enttäuschung!
Dieses Wort flattert kurz durch seinen Kopf und lässt ihn innehalten, gerade als er den Rasierschaum auf die Haut klopfen will. Er sieht es seinem Spiegelbild an, sieht, wie er mit erhobener Hand dasteht und plötzlich vor seinem eigenen Blick zurückweicht.
Scheiß drauf. Er reißt sich zusammen und sieht sich selbst in die Augen. Und wenn es so gewesen wäre? Wer hätte ihn dafür anklagen können? Niemand. Absolut niemand. Was auch immer er in diesem kurzen Augenblick gefühlt hat, es ging schnell vorüber, sehr schnell. Denn dort, genau in diesen Momenten im Badezimmer, dort hatte er es begriffen. Er hatte den Badezimmerschrank geöffnet und gesehen, dass ihre Regale leer waren. Ausgeräumt. Alle ihre Tuben und Dosen waren fort, alles, was es noch gab, war ein schmutziges Zahnputzglas, ein Glas, das er herausnahm und anschaute, nur um zu sehen, dass eine graue Schicht den Boden bedeckte. Eine eklige graue Schicht, im Kontrast zu allem anderen im Badezimmer, diesem glänzenden, blitzblanken Raum. Er hatte dieses Glas angestarrt und war dann auf den WC-Sitz gesunken. Eva!
Der Brief hatte auf dem Küchentisch gelegen. Oder besser gesagt: der Zettel. Es waren ja nur ein paar Zeilen, Worte, an die er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte, Worte, an die er sich übrigens nie wieder würde erinnern können, da er den Zettel zusammengeknüllt und weggeworfen hatte, gleich nachdem er ihn gelesen hatte. Er war zu widerlich, zu voll mit Illustriertenfloskeln. An Bengt Bengtssons Namen erinnerte er sich noch. Und dass es Anders’, sein eigener Fehler gewesen sei. Dass sie gezwungen gewesen sei, ihre Liebe zu suchen …
Er schneidet seinem Spiegelbild eine Grimasse. Oh, Scheiße. Igitt. Er will nicht an diesen Zettel denken, und er will nicht daran denken, wie er sich danach verhalten hat. Wie er fast weinte. Wie er sie auf ihrem Handy anrief, das abgeschaltet war und blieb. Wie er ein paar Tage später auf Bengt Bengtssons Hausanschluss anrief, jeweils zwischen den Patienten, immer tagsüber, nie irgendwann am Abend, als hätte er Gründe, Angst vor diesem Knilch zu haben, als wäre er der Liebhaber und Bengt Bengtsson der betrogene Ehemann gewesen, und wie Eva den Hörer auflegte, sobald sie hörte, wer dran war …
Und jetzt schreibt sie. Und will reden. Will, dass sie Freunde sind.
Vielen Dank. Danke, allerverbindlichsten verdammten Dank. Er reckt den Hals und lässt den Rasierhobel über die Bartstoppeln gleiten, genießt das Gefühl der Sauberkeit, das jedem Strich folgt. Er weiß, wie sie tickt, weiß genau, wie viel sie sich selbst und allen anderen vorzulügen bereit ist. Er hat fast fünfunddreißig Jahre mit ihren Lügen gelebt, und er hat genug davon ertragen müssen, er hat genug an Lügen für ein ganzes Leben. Man nehme nur die Zeit. Sie hat immer hinsichtlich der Zeit gelogen, es scheint, als wäre sie nicht in der Lage, sich selbst einzugestehen, dass die Zeit in dem Tempo vergeht, in dem sie nun einmal vergeht. Sie haben nicht fünfundzwanzig Jahre lang zusammengelebt. Sondern einunddreißig Jahre, das heißt, eher fünfunddreißig als fünfundzwanzig, und dreißig Jahre waren sie verheiratet. Tatsächlich ereignete sich ihr dreißigster Hochzeitstag knapp einen Monat, bevor sie ihn verlassen hat, und an jenem Tag, nein, in jener Nacht …
Er lässt den Rasierer sinken und hält sich am Waschbecken fest. Ganz ruhig. Nicht zu schnell atmen. Einfach nur hier stehen, kühl analysierend, und zu verstehen versuchen, was sie da eigentlich schreibt. Es ist nicht immer alles das,
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