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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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flatterten vorbei, er sah den Zaun vor dem Haus in Landskrona, konnte den Eisengeschmack auf seiner Zunge spüren und wusste, obwohl er es eigentlich gar nicht wissen konnte, dass es sich um einen Tag handelte, an dem er noch klein war und gerade festgestellt hatte, dass alle anderen Kinder eine Mama und einen Papa hatten. Und was hatte er? Eine Inez und einen Birger. Sekunden später war er mehrere Jahre älter und ging an dem Kinderheim in Landskrona vorbei, einem grauen Haus mit grauem Balkon und einigen weißen Eisenbetten im Sonnenlicht, und die Gewissheit, dass er hier hätte landen sollen, dass sie ihn früher einmal hierherbringen wollte, sickerte langsam in seinen Körper ein, erfüllte ihn, füllte jede einzelne Zelle in ihm. Er blinzelte, um die Erinnerung zu vertreiben, zwang sich, an all das andere zu denken, an das Gute, das, was schön war, das, was es ihm ermöglicht hatte, jetzt in einem Hotel in London zu sitzen und es sich leisten zu können, was auch immer auf der Speisekarte auszusuchen. Wie er in der Sechsten Theater gespielt hatte. Wie er Inez besiegt und seine Haare hatte wachsen lassen. Wie er vor der ganzen Klasse gestanden und zum ersten Mal gesungen hatte, Love Me Tender war es gewesen, und wie er sich mit seinem halben Ich tief in der Melodie befunden, mit der anderen Hälfte gesehen hatte, wie einige Mädchen sich plötzlich gerade hinsetzten und ihn mit weit aufgerissenen Augen anschauten, weit geöffnete Augen, die in die Zukunft sehen konnten, Augen, die bereits damals verrieten, dass ein Tag wie heute kommen würde.
    Er nahm seine Serviette und breitete sie über seinen Schoß aus, strich mit der Hand darüber. Elsie hatte den Kopf gehoben und ihn betrachtet, aber jetzt wandte sie den Blick wieder ab, schaute auf ihren Teller und sagte:
    »Ich wusste nicht einmal, dass du singen kannst …«
    Er grinste als Antwort:
    »Es gibt immer noch Leute, die sich fragen, ob ich es wirklich kann …«
    So machte man es. So machten es alle Erwachsenen. Antworteten mit einem Scherz. Ließen den Ernst zu Boden tropfen, dass er aufgesaugt wurde und in dem roten Flausch verschwand. Aber gleichzeitig brannte es wieder in seinem Magen, und er senkte schnell den Blick, schaute auch auf seinen Teller und versuchte das Bild von Inez zu vertreiben, dieser Inez, die einen Moment lang in Elsies Gesicht zu sehen gewesen war. Eine junge Inez. Oder zumindest eine jüngere. Eine Inez, die ihn ohne diesen Zweifel ansah, ohne diese Angst, die wie ein Schleier seit mehreren Jahren vor ihrem Gesicht hing. Die Inez, an die er sich kaum erinnern konnte. Er räusperte sich und wollte gerade etwas sagen, als er merkte, dass er gar nichts zu sagen wusste. Nicht zu Elsie. Inez hätte er das eine oder andere zu sagen gehabt. Aber Elsie nichts. Absolut nichts.
    Die Luft zwischen ihnen vibrierte. Sie wartete, dass er noch etwas sagen würde, hielt die Luft an und wartete, immer noch, ohne ihn anzusehen, und als er nichts sagte, sah sie langsam auf und öffnete den Mund. Er selbst wandte schnell den Kopf ab und beugte sich über sein Brot, schnitt emsig daran herum, damit sein Blick nicht von ihrem eingefangen werden konnte.
    Karl-Erik rettete sie. Er neigte sich lächelnd zu Elsie hinüber:
    »Sie kommen doch heute Abend mit?«, fragte er.
    Sie schaute zu ihm auf und erwiderte sein Lächeln.
    »Ja, gern«, antwortete sie. »Wenn ich darf.«

»Jetzt sind sie seit zwei Stunden da«, sagte Eva und schaute auf ihre Uhr.
    Susanne warf einen Blick auf die eigene Uhr. Sie waren seit einer Stunde da, aber sie dachte gar nicht daran, etwas darüber zu sagen, nickte nur. Zustimmend. Es wäre ja etwas lächerlich, darauf hinzuweisen, dass die Uhr in London eine Stunde weniger anzeigte als in Landskrona. Als ob Eva das nicht wüsste.
    Eva hatte sie bereits gegen zehn Uhr angerufen und mit einer neuen, etwas atemlosen Stimme gesprochen. Ob sie sich treffen könnten, wenn ihre Mutter sie in der Parfümerie ablöste? So gegen halb eins? Susanne war noch nicht einmal angezogen, es war ja Samstag, und immer noch empfand sie es als einen gewissen Luxus, samstags freizuhaben. Sie hatte gerade festgestellt, dass der Genuss noch größer wurde, wenn man den Morgen mit Haarewaschen und Fingernägelfeilen verbrachte, deshalb stand sie im Bademantel am Telefon. Es war reines Glück, dass Inez gerade mit einem Haufen Wäsche im Keller verschwunden war, sodass sie nicht hörte, wie atemlos Susanne klang, als sie zusagte. Dann hatte sie den ganzen

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