Eisberg
auf mich.« Lillie zuckte hilflos die Achseln, ehe er fortfuhr: »Der arme Irre versuchte zu stechen, anstatt mich aufzuschlitzen – er war offensichtlich ein Amateur. Ich hätte ihn am Leben lassen und gefangennehmen sollen. Dann hätte man ihn verhören können. Aber in der Hitze des Gefechts habe ich mir das nicht überlegt und ihn mit seinem eigenen Messer erledigt.«
»Zu schade, daß Sie ihm nicht fünf Minuten eher begegnet sind«, meinte Pitt.
»Warum das?«
»Er hatte unsere Position bereits durchgegeben, und so konnten seine Komplizen anrücken, um uns ins Jenseits zu befördern.«
Lillie sah Pitt fragend an. »Wozu? Doch nicht, um ein paar Zeichnungen oder einen Eimer Fische in die Hand zu bekommen?«
»Nein, sondern etwas weitaus Wichtigeres: einen Düsenjäger.«
»Ich ahnte es. Ihr geheimnisvoller schwarzer Jäger. Mir kam gleich der Gedanke, daß Sie nach ihm suchen wollten, als ich Ihr Fahrziel erriet. Aber in Ihrem Bericht war keine genaue …«
Pitt fiel ihm ins Wort; in seiner Stimme klang Argwohn auf. »Ich weiß bestimmt, daß sich Admiral Sandecker seit seiner Abreise in Washington weder mit Ihnen noch mit Ihrer Behörde in Verbindung gesetzt hat. Er und ich sind die einzigen, die wissen, was in diesem Bericht …« Er unterbrach sich. »Außer …«
»Außer dem Konsulatssekretär, der ihn getippt hat«, vollendete Lillie lächelnd Pitts Satz.
»Mein Kompliment! Ihr Bericht war fabelhaft abgefaßt.« Lillie hielt es nicht für nötig zu erklären, auf welche Weise ihm der Konsulatsangehörige eine Kopie hatte zukommen lassen, und Pitt hielt es nicht für nötig, danach zu fragen. »Sagen Sie bloß, Major, Sie wollten nur mit einem Zeichenblock und einer Angelrute ein gesunkenes Flugzeug aufspüren …«
»Ihr Opfer kennt die Antwort. Er hat die Luftblasen durch sein Teleskop entdeckt.«
Lillies Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie hatten eine Taucherausrüstung dabei?« fragte er entgeistert. »Wie kamen Sie dazu? Ich habe Sie beobachtet, als Sie vom Kai ablegten, und ich habe nichts gesehen. Ich habe Sie und den Admiral vom Strand aus überwacht und habe keinen von Ihnen das Deck länger als drei Minuten verlassen sehen. Danach konnte ich nichts mehr beobachten, weil Nebel aufkam.«
»Die NIA hat kein Monopol auf Geheimunternehmen«, entgegnete Pitt. »Setzen wir uns in den Wagen, und ich erzähle Ihnen, wie ein ganz normaler Alltag im Leben des Dirk Pitt aussieht.«
Pitt machte es sich auf dem Rücksitz bequem, legte seine Füße auf die Lehne des Sitzes vor ihm und berichtete Lillie, was sich alles zwischen dem Auslaufen der
Grimsi
und ihrer Rückkehr zugetragen hatte. Er erzählte, was er mit Sicherheit wußte, und auch das, was er sich nur zusammenreimte – alles. Einen winzigen, vagen Gedanken, der ihm durch den Kopf spukte, ließ er allerdings aus – einen Gedanken, der mit Kirsti Fyrie zusammenhing.
13. Kapitel
»Also haben Sie sich Oskar Rondheim als Ihren Bösewicht ausgesucht«, murmelte Lillie. »Aber Sie haben keinen einzigen handfesten Beweis, der mich überzeugt.«
»Ich gebe Ihnen recht. Nur die Indizien weisen auf Rondheim hin«, erwiderte Pitt. »Er hat das meiste bei der Geschichte zu gewinnen. Also hat er ein Motiv. Er hat gemordet, um in den Besitz der Unterwassersonde zu kommen, und er hat gemordet, um seine Spuren zu verwischen.«
»Das reicht mir nicht.«
Pitt sah Lillie an. »Also gut. Geben Sie mir eine bessere Erklärung.«
»Als Agent, dessen Wort in der NIA gilt, ist es mir peinlich zuzugeben, daß ich ein bißchen verwirrt bin.«
»Sie sind verwirrt?« Pitt schüttelte in spöttischem Mitleid den Kopf. »Die Sicherheit unserer Nation ist bei Ihnen offensichtlich nicht in besten Händen.«
Lillie lächelte verhalten. »Sie sind es, der für die Verwirrung gesorgt hat. Sie haben die Kette entzwei gerissen.«
»Welche Kette?« fragte Pitt. »Oder soll ich jetzt raten?«
Lillie zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: »Seit rund achtzehn Monaten zieht sich eine Kette der seltsamsten Ereignisse durch die Staaten des südamerikanischen Kontinents, von der Südspitze Chiles bis zur nördlichen Grenze Guatemalas. Die großen Bergbaugesellschaften Südamerikas sind, von der Öffentlichkeit unbemerkt, durch eine Reihe komplizierter Schachzüge zu einem Riesenkonzern verschmolzen worden. Nach außen hin führen sie ihre Geschäfte selbständig wie bisher weiter; doch hinter verschlossener Tür wird die Politik der einzelnen
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