Eisblume
lang still. Er litt noch immer unter der Trennung, die mittlerweile ein halbes Jahr zurücklag. Aber er würde seiner Exfreundin anscheinend durch nichts wehtun wollen. Ein Sportler. Auch wenn das Spiel verloren war, wollte er fair bleiben.
»Ich danke Ihnen. Wenn Sie mir noch die Telefonnummer Ihres Freundes geben, dann wäre es das für heute.«
Mike Lüdke zog sein Handy aus der Jackentasche und diktierte Brander die Nummer. Brander sah, dass seine Finger zitterten.
»Wäre zu simpel, oder?« Peppi kaute auf dem Ende ihres Kulis und sah Brander nachdenklich an. »Athletischer Typ mit Mordswut im Bauch. Verliert mal kurz die Kontrolle. Er wollte ihn ja nicht umbringen.«
»Glaub ich nicht. Er würde nichts tun, womit er seiner Exfreundin wehtun würde«, wiederholte Brander seine Gedanken, die er vor wenigen Minuten gehabt hatte, laut.
»Mag sein. Die Kontrolle über sich kann man trotzdem mal verlieren.« Peppi sprach aus Erfahrung. »Lass ihn betrunken gewesen sein.«
»Gehen wir mal logisch an die Sache ran. Er wohnt im Osten Tübingens, oben im Studentendorf. Vockerodt haben wir unten in der Südstadt gefunden. Wie ist er dorthin gekommen? Warum war er dort? Woher wusste er, dass er Vockerodt dort trifft?«
»Er kam in der Nacht aus Reutlingen. Das heißt, er fuhr die B 28 entlang.« Peppi zog einen Stadtplan aus der Schublade und breitete ihn auf ihrem Schreibtisch aus.
Brander stand auf und stellte sich hinter sie. »Wenn er Auto gefahren ist, war er sehr wahrscheinlich nicht betrunken«, gab er zu bedenken.
»Na, dann war er eben nicht betrunken, sondern sehr, sehr schlecht drauf, als er auf dem Heimweg war. Also, er fährt die B 28 nach Tübingen rein.« Peppi fuhr mit dem Finger über die Karte. »Durch Zufall sieht er Vockerodt in die Eugenstraße laufen, der – warum auch immer – mitten in der Nacht hier spazieren geht. Lüdke bekommt eine Mordswut, weil er jetzt allein in seine kleine Studentenbude muss, während sich Vockerodt bei seiner Freundin eingenistet hat. Er weiß, dass Jasmin nicht in dieser Gegend wohnt, und er fragt sich, warum Vockerodt da nachts allein herumläuft. Er denkt vielleicht, dass Vockerodt von einem kleinen Tête-à-Tête mit einer anderen kommt. Wie hat Lüdke vorhin gesagt? ›Das hat Jasmin nicht verdient.‹ Also verfolgt er Vockerodt, um ihn zur Rede zu stellen. Es kommt zu einem Streit, Lüdke schlägt zu …«
»Hm.« Brander starrte auf den Stadtplan. »Vielleicht.«
»Er hat ihn ja nicht umbringen wollen. Ein Unfall. Totschlag. So was passiert«, ergänzte Peppi, die spürte, dass Brander diese Variante nicht gefiel.
»Klär bitte die Uhrzeiten mit dem Marcus Armbruster ab. Wir müssen wissen, wann genau Lüdke bei ihm weggefahren ist.« Brander ging wieder zu seinem Schreibtisch. »Hat Barowsky schon mit den Kollegen vom Staats…«
»Ist dir ein Nazi lieber als dieser junge Sportstudent?«
Brander verdrehte zur Antwort die Augen. »Am liebsten wäre es mir, es wäre gar nichts passiert. Ich hab nämlich gerade andere Sorgen.«
»Was ist denn los?« Peppi sah überrascht zu ihrem Kollegen.
»Nichts.« Brander winkte ab.
Freitag
Neben dem üblichen Papierkram fand Brander am nächsten Morgen eine Krankmeldung von Jens Schöne und auch eine von Karl-Heinz Barowsky auf seinem Schreibtisch. Beide waren über das Wochenende hinaus bis zum Dienstag krankgeschrieben. Brander hoffte, dass nicht noch mehr Leute ausfielen. Zum Glück hatte es Barowsky noch vor seinem Ausfall geschafft, mit dem Kollegen vom Staatsschutz zu sprechen. Brander überflog den Bericht.
»Guten Morgen, Andi.« Peppi ließ sich müde auf ihren Stuhl fallen und gähnte herzhaft.
Brander sah auf und runzelte zur Begrüßung die Stirn.
»Schoki und Wein sind was Feines, aber nicht, wenn man am nächsten Morgen früh raus muss.«
»Kopfschmerzen?«
»Nein, waren richtig gute Weine, da krieg ich keine Kopfschmerzen. Aber es war spät … na ja, eher früh, und jetzt bin ich hundemüde.« Sie grinste schwach. »Wollten Ceci und du gestern nicht auch …«
»Ja, aber wir sind dann doch nicht gegangen.«
Es war ohnehin spät gewesen, als Brander am Abend zuvor nach Hause gekommen war. Cecilia und er waren beide nicht in der Stimmung gewesen, den geplanten Spaziergang über den Schokoladenmarkt zu machen, obwohl das Wetter dazu einlud. Es hatte aufgehört zu schneien, dennoch blieb es kalt, und der Schnee hatte den Buden und Pagodenzelten weiße Hauben auf die Dächer gesetzt und
Weitere Kostenlose Bücher