Eisblume
die abendliche Beleuchtung stimmungsvoll zur Geltung gebracht.
Er hatte kurz mit Daniel telefoniert, ohne ihn zu fragen, ob er nicht doch nach Düsseldorf kommen sollte, und er hatte mit Julian gesprochen, der ihn mit einem »Alles bestens« abgefertigt hatte. Cecilia hatte eine CD von Norah Jones eingelegt, zwei Gläser Wein auf den Tisch gestellt, und sie hatten den Abend stumm ausklingen lassen.
Peppi sah ihn einen Augenblick lang nachdenklich an, fragte aber nicht weiter nach. »Gibt’s was Neues?«
»Jens und Karl-Heinz sind krank.«
»Oje, Karl jetzt auch. Freddy hat gestern auch schon rumgehustet. Die sollen mit ihren Viren mal alle schön zu Hause bleiben.«
»Und wer macht dann die Arbeit? Apropos, willst du heute gern Herrn …«, Brander sah auf den Bericht vor sich, »Drewitz einen Besuch abstatten? In Barowskys Bericht steht, dass die Kollegen vom Staatsschutz meinen, eine Überprüfung könne nichts schaden. Drewitz gehört der rechtsradikalen Szene an, ist mehrfach bei Demonstrationen auffällig geworden, vorbestraft wegen mehrerer Gewaltdelikte gegen ausländische Mitbürger. In Frankfurt hat er vor ein paar Jahren mit Gleichgesinnten die Scheiben einiger türkischer Läden mit Hakenkreuzen beschmiert und ist dafür verurteilt worden. Vor zwei Jahren zog er nach Tübingen und engagiert sich seither in der NPD im Zollernalbkreis.«
Brander wusste, dass es wenig Sinn hatte, den Mann zu einem Gespräch in die Polizeidirektion zu bitten. Rechtlich gesehen war Drewitz nicht dazu verpflichtet, und in diesen Kreisen kannten die Leute ihre Rechte besser als mancher Jurist.
»Wie schön, dass wir in einem demokratischen, sozialen Rechtsstaat leben, in dem man versucht, auch den ewig Gestrigen eine Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen und in dem auch deutsche Staatsbürgerinnen, die einen griechischen Vater haben, in den Staatsdienst aufgenommen werden. Bin gespannt, wie dem Herrn Drewitz das gefällt. Gib mir mal die Adresse, da fahre ich doch gern hin.« Peppi schien ihre Müdigkeit vergessen zu haben und forderte Brander mit einer Handbewegung auf, ihrer Bitte zu folgen.
Er diktierte ihr die Adresse von Andreas Drewitz.
»Der heißt Andreas?«
Brander zuckte die Achseln. »Tja, gibt solche und solche.«
Nach einer kurzen Soko-Sitzung machten sie sich auf den Weg zu Andreas Drewitz, der alleinlebend mit einer Adresse im Stadtteil Unterer Wert gemeldet war.
»Was für ein hässliches Ding«, murmelte Peppi, als sie die Bauruine an der Blauen Brücke passierten. Der mehrstöckige offene Rohbau gegenüber dem Kino hatte bereits dort gestanden, als Brander seinen Dienst bei der Kriminalpolizei in Tübingen angetreten hatte.
»Was sollte das eigentlich mal werden?« Brander hatte sich diese Frage schon öfter gestellt, aber auch genauso oft sofort wieder vergessen.
»Das weißt du nicht?«
»Würde ich sonst fragen?«
Peppi setzte den Blinker und ordnete sich auf die kurze Rechtsabbiegerspur ein. Sie bogen beim Kino in die Bismarckstraße ab und ließen den Betontorso hinter sich.
»Also, pass auf. Wir schreiben das Jahr …« Peppi überlegte. »Es muss Mitte der neunziger Jahre im letzten Jahrhundert gewesen sein.« Es klang, als lägen die Neunziger bereits Ewigkeiten zurück.
»Im Ernst? Das Betonskelett steht schon über fünfzehn Jahre da?« Brander schüttelte ungläubig den Kopf.
»Nicht ganz, aber da fing das ganze Elend an. Man hatte Großes vor damals. Man wollte dem kulturzugeneigten und musikinteressierten Tübinger Publikum ein großes Kulturhaus mit Konzertbühne bieten. An die anderthalbtausend Besucher sollten darin Platz finden. Ich weiß nicht, was genau passiert ist. Jedenfalls Ende der Neunziger begann man mit dem Bau, jedoch kaum hatte man begonnen, ging das Geld aus und Uppsala, stand da dieser halb fertige Rohbau und wartet seither auf einen neuen Investor.«
»Warum reißen die das Ding nicht einfach ab?«
»Zu teuer. Die haben versucht, das Gelände samt Bau zu verkaufen. Es gab bereits drei Anläufe, die Ruine zwangszuversteigern, aber bisher hat sich da noch niemand erbarmen können.«
»Na ja, die Bausubstanz wird auch nicht besser, wenn es da zig Jahre so halb fertig vor sich hin gammelt. Ich würde das Ding abreißen und ein paar Bäume hinpflanzen. Fertig.«
»Schlag das unserem Grünen Oberbürgermeister doch mal vor. Ökologisch betrachtet, wäre das sicherlich eine sinnvolle Lösung.«
»Ökologisch betrachtet, verschwenden wir gerade
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