Eisblume
seine Aufgabe.
»Ach, leck mich doch.«
»Dein Lehrer war bei mir. Herr Schubert. Der macht sich Sorgen um dich.«
»Da back ich mir jetzt ‘n Ei drauf.« Sie leerte ihre Tasse. »Krieg ich noch ‘n verfickten Kaffee?«
Cecilia runzelte die Stirn. »Kannst du deine Kraftausdrücke mal ein bisschen reduzieren?«
Nathalie sah sie abschätzend an. »Krieg ich noch ‘n Kaffee? Bit-te.«
Obwohl das »Bitte« eher provokativ als höflich gemeint war, sprang Cecilia nicht darauf an, entgegnete ein simples »Ja« und ging zur Theke.
Nathalie blickte ihr nach. »Is echt deine Alte?«
»Nein, sie ist meine Frau.«
»Die ist nett.«
Brander sah kurz zu Cecilia, die gerade die Bestellung aufgab. Im nächsten Augenblick spürte er einen stechenden Schmerz im Knie. Nathalie stürmte davon.
»Verdammt! Nathalie!«, schrie Brander dem Mädchen hinterher. Sie hatte ihm mit aller Kraft vor sein Bein getreten und direkt unterhalb der Kniescheibe getroffen. Er rannte ihr humpelnd nach. Ignorierte den Schmerz. Nathalie stolperte und rutschte die Rolltreppe zum Bahnsteig hinunter. Er kämpfte sich durch die Passanten auf der Treppe. Nathalie war dünner und flinker als er, kam schneller durch. Sie rannten über den Bahnsteig. Er holte auf. Die S3 stand kurz vor der Abfahrt. Nathalie sprang hinein. Die Türen schlossen sich. Brander kam zu spät, blieb fluchend am Bahnsteig zurück.
»Verd…« Er schüttelte den Kopf, rang nach Atem. Wie hatte er sich von dieser Göre nur so dumm austricksen lassen können? Wie ein vertrottelter Anfänger! Wieso hatte er sich überhaupt auf ein Gespräch mit dem Mädchen eingelassen? Er hätte einfach die Stuttgarter Kollegen informieren können. »Hey, Kollegen, überprüft doch bitte mal die zwei Punks am Bahnhof Stadtmitte. Das Mädel ist vermutlich die vermisste Nathalie Böhme.« Ende. Aus. Ein kurzer Anruf, und dann wäre er mit seiner Frau gemütlich über den Weihnachtsmarkt geschlendert, anstatt sich von diesem verzogenen Biest beschimpfen und treten zu lassen. Ausgezeichnet! Er hätte sich selbst in den Hintern treten können. Er stand vornüber gebeugt, rieb sich das schmerzende Knie.
Irgendwann tauchte Cecilia neben ihm auf.
»Was ist passiert?«
»Verflucht, die Kleine hat mir dermaßen vors Knie getreten.« Er konnte es immer noch nicht fassen. Vorsichtig bewegte er das schmerzende Bein. »Scheiße.«
»Wenn ich heute auch nur noch einen einzigen Kraftausdruck höre, flippe ich aus«, drohte Cecilia genervt.
Brander richtete sich auf, fiel seiner Frau wie ein erschöpfter Marathonläufer um den Hals. »Es tut mir so leid.«
Ihr Kennenlerntag, ihr alljährliches Ritual, war gründlich versaut.
Sie standen einen Moment lang still da, während die S-Bahnen an den zwei Gleisen ein- und ausfuhren, Lautsprecherdurchsagen über ihren Köpfen rauschten und Menschen jeglichen Alters um sie herum ein- und ausstiegen und an ihnen vorbeiliefen. Schließlich löste sich Cecilia von ihm.
»Ich muss hier raus aus dem Trubel. Lass uns irgendwo in ein ruhiges Café gehen. Ich …«
Erst jetzt bemerkte Brander, dass der Schreck über die Situation ihr noch ins Gesicht geschrieben stand. Er strich ihr sanft über die Wange. »Ja, sofort. Ich muss nur kurz gucken, wohin die S3 fährt.«
Er sah auf den großen Schienennetzplan, der an der gegenüberliegenden Seite an der Mauer angebracht war. Nathalie war in die Bahn Richtung Backnang gestiegen. Vermutlich war sie am Hauptbahnhof oder in Bad Cannstatt sofort wieder aus der Bahn gesprungen.
»Ich ruf schnell Hendrik an und dann …« Er kreuzte kurz die Hände vor seinem Körper, um zu sagen, dass der Fall für ihn heute abgeschlossen war.
Sie fuhren die Rolltreppe wieder hinauf, während Brander telefonierte. Er gab Hendrik eine aktuelle Personenbeschreibung und die Information, in welche Richtung das Mädchen verschwunden war. Was vorher passiert war, verschwieg er erst einmal. Das konnte er Hendrik am nächsten Tag in Ruhe im Büro erzählen.
Sie ließen Weihnachtsmarkt und Königstraße links liegen und gelangten über Umwege ins Gerberviertel und schließlich ins Graf Eberhard, ein gemütliches kleines Café in der Nesenbachstraße. Sie bestellten Kaffee und Kuchen. Außer der Bestellung hatten sie noch kein Wort wieder miteinander gesprochen.
»Wie geht’s deinem Knie?«, brach Cecilia ihr Schweigen.
»Indianer kennt keinen Schmerz.« Brander lächelte gequält.
Cecilia fand es nicht lustig. »Bitte keine platten
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