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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Baecker
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Kollegen informieren sollen, anstatt im Alleingang zu agieren. Jetzt zog er auch noch seine Frau in die Geschichte mit hinein.
    »Ihr tickt doch beide. Hier!« Nathalie griff mit der freien Hand in die Jackentasche, warf wahllos ein paar Münzen auf den Boden. »Nehmt euer verficktes Geld. Lasst mich doch verrecken.«
    »Niemand will, dass du verreckst«, entgegnete Brander.
    »Ja, klar wollt ihr das. Ich bin euch doch so was von scheißegal. Kein Schwein interessiert sich für mich. Das ist doch allen scheißegal, ob ich verrecke. Ich könnt da tot in der Ecke liegen. Da würden nur die Hunde auf mich pissen.«
    »Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen? Oder einen heißen Kakao?«, fragte Brander. Er spürte, dass das Mädchen unter seinem Griff zitterte. Vielleicht vor Angst, vielleicht vor Kälte. Sie sah ihn misstrauisch an. Bockig, aber nicht mehr ganz so wütend.
    »Ich geh nicht wieder nach Hause.«
    »Wir gehen jetzt erst einmal da vorne hin.« Er deutete auf eine Stehbäckerei. »Da trinken wir in Ruhe einen Kaffee, und dann rufst du deine Eltern an und sagst denen, dass du noch lebst, damit sie sich nicht mehr so viele Sorgen um dich machen.«
    »Ey, hast du Scheiße in den Ohren? Das ist denen scheißegal, wo ich bin.«
    »Ich finde, du hast jetzt oft genug Scheiße gesagt. Willst du jetzt einen Kakao, oder nicht?«
    Sie schob trotzig das Kinn vor. »Bin kein Baby. Ich will Kaffee, Mann. Aber ich geh nicht wieder nach Hause!«
    Brander seufzte ergeben. Sie gingen zu der Bäckerei, stellten sich an einen der Stehtische, und Cecilia kaufte Kaffee und Laugenbrezeln.
    Nathalie schob ihre Mütze zurecht, die bei ihrem Kampf etwas verrutscht war. Er hatte richtig vermutet, der Kopf war kahl rasiert.
    Wie kann so ein hübsches Mädchen so böse gucken?, hörte er Hendriks Worte. Sie hatte einiges dafür getan, nicht mehr so hübsch zu sein. Nicht nur, dass die langen schwarzen Haare samt Augenbrauen verschwunden waren, der Hunger und die Kälte der letzten Tage und Nächte hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Unter den blauen Augen waren dunkelrote Ringe. Die Lippen waren spröde und die Nase vom Schnupfen gerötet. Dennoch war da eine kindliche Unschuld, die er meinte, in ihrem Gesicht, in ihren Augen sehen zu können. Schweigend warteten sie, bis Cecilia mit Essen und Getränken zu ihnen zurückkehrte.
    Das Mädchen verschlang die Brezel so gierig, dass Cecilia ihr eine Hälfte ihrer Brezel auch noch überließ.
    »Willst du noch mehr?«, fragte sie, nachdem auch das zweite Teigstück verschwunden war. Sie sah das Mädchen besorgt an.
    Nathalie schüttelte knapp den Kopf.
    Ein »Danke« wäre vielleicht angebracht, fand Brander, aber das wäre wohl zu viel verlangt. Es wurde Zeit, das Mädchen an die Stuttgarter Kollegen zu übergeben. Er zog sein Handy aus der Jackentasche. Nathalie beobachtete ihn misstrauisch.
    »Wen willst ‘n anrufen?« Der gestillte Hunger hatte sie anscheinend etwas sanftmütiger werden lassen.
    »Deine Mutter«, entgegnete Brander. Bei dem Wort »Polizei« wäre sie vermutlich gleich wieder hysterisch geworden.
    Sie zog eine angewiderte Grimasse. »Warum?«
    »Weil sie dich vermisst gemeldet hat, darum. Weißt du die Nummer auswendig?«
    »Wie heißt ‘n ihr?«
    »Brander.«
    »Komischer Vorname.«
    »Das ist kein Vorname. Versuch es mal mit Herr Brander.«
    »Du bist voll der Spießer, oder? Ich wette, ihr hab ‘ne kleine Doppelhaushälfte im Grünen. Samstags grillen und sonntags Kaffee trinken.«
    Damit lag sie nicht einmal so verkehrt. »Die Nummer?«
    »Ist doch scheißegal.«
    »Es ist nicht egal. Entweder du sagst mir jetzt die Nummer oder in drei Sekunden sind meine Kollegen hier.«
    Sie diktierte ihm die Telefonnummer. Er hielt sich das Telefon ans Ohr und wartete auf das Freizeichen. Es klingelte. Einmal, zweimal, fünfmal, siebenmal. Nathalie sah ihn mit einem breiten, triumphierenden Grinsen an. Es war nichts Freundliches in diesem Blick, nur das Wissen, dass sie recht hatte.
    »Ist keiner da, was?«, trumpfte sie auch umgehend auf. »Hab ich dir doch gesagt. Denen ist es verfickt noch mal scheißegal, was mit mir ist. Also, lasst mich in Ruhe. Ich komm schon durch.«
    Er drückte den Anruf weg. »Indem du dich für ein paar Euros prostituierst?«
    »Irgendwie muss ich ja an Kohle kommen. Außerdem lass ich mich ja nicht küssen.«
    »Schon mal was von Aids gehört? Hepatitis? Syphilis?« Warum fing er jetzt an, mit diesem Mädchen zu diskutieren? Es war nicht

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