Eisblume
Gespräch vollführte Radekes Kopf eine leichte, aber stetige Nickbewegung und das Bein wippte nervös auf und ab.
»Ich hab das Recht auf ‘n Anwalt, wa.«
»Ja, das haben Sie. Möchten Sie jetzt jemanden anrufen?«, fragte Brander.
»Wen soll ich denn anrufen?«
Brander sah ihn schweigend an.
»Ey, ich will hier raus. Was soll der Scheiß?«
»Herr Radeke, das haben Sie sich selbst eingebrockt.« Hendrik war an den Tisch getreten, stützte sich mit beiden Händen auf der Platte ab und sah zu Radeke. »Eigentlich wollten wir Sie nur noch einmal wegen Nathalie Böhme sprechen.«
»Die Eisblume? Was is ‘n mit der?«
»Das wüssten wir gerne von Ihnen.«
Radeke sah von Hendrik zu Brander und wieder zurück zu Hendrik.
»Ja, Mann.«
»Was – ja, Mann?«
»Scheiße, Mann. Ja, die war an dem Abend bei mir. Aber nur kurz. Ich hab se weggeschickt, wa. Hatte keinen Bock auf die.«
Brander und Hendrik tauschten einen kurzen Blick.
»Wann genau war Nathalie bei Ihnen?«
»Was weiß denn ich? Um elf, um zwölf. Irgendwann, wa. Hab ihr gesagt, se soll sich verpissen.«
»Könnten Sie die Zeit noch genauer eingrenzen?«
»Keine Ahnung, wa. Hab keine Uhr, wa.«
»Und sie ist dann wieder gegangen?«
»Ey, ja, Mann.«
»Wissen Sie, wohin sie gegangen ist?«
»Bin ich der liebe Gott? Keine Ahnung. Die is abgezischt. Kann ich jetzt gehen?«
»Danke. Die Kollegen übernehmen dann.« Brander stand auf und ging zur Tür. Hendrik folgte ihm.
»Ey, was soll das denn jetzt? Ihr könnt mich nich einfach hier behalten, wa!«
»Schon vergessen? Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.«
»Leckt mich doch am Arsch, Mann! Ihr könnt mir gar nix, wa! Ich bin unschuldig!« Radeke streckte ihnen den Mittelfinger entgegen.
»Mist, ich hab voll die nasse Hose!«, beschwerte sich Hendrik, als sie wieder im Auto saßen. »Können wir kurz zu mir fahren, damit ich mich umziehen kann?«
»Du bist der Fahrer.«
Hendrik fuhr Richtung Derendingen. Kurz vor Louis Geburt hatte er dort gemeinsam mit Anne im Neubaugebiet Mühlenviertel eine Eigentumswohnung gekauft. Wenn die Bauarbeiten in der Umgebung erst einmal abgeschlossen und die Außenanlagen hergerichtet wären, würde es sicher eine schöne Wohngegend sein. Gelbe, rote, weiße mehrgeschossige Gebäude und Doppelhäuser reihten sich in einer bunten Vielfalt aneinander. Rasen, Sträucher und Bäume befanden sich noch in der frühen Wachstumsphase und gaben jetzt im Winter ein eher trostloses Bild zwischen den bunten Fassaden ab. Brander stellte sich vor, wie im Sommer alles blühte und die Kinder in dem kleinen Mühlenbach Staudämme bauten und Frösche fingen, so wie er es als Kind getan hatte.
Hendrik parkte den Wagen auf der Straße vor dem Haus, und sie gingen zum Eingang. Durch ein Fenster sahen sie Hendriks Freundin in der Küche hantieren. Er hätte sich für eine Penthouse-Wohnung mit Dachterrasse entschieden, überlegte Brander, aber mit einem Kleinkind war die Terrassenwohnung im Erdgeschoss vermutlich weniger nervenaufreibend – keine Sorgen, dass das Kind vom Balkon stürzen konnte, und man musste es nicht mehrmals täglich die Treppen rauf- und runtertragen. Hendrik drückte dreimal zackig auf den Klingelknopf.
Kurz darauf öffnete Anne ihnen mit dem schreienden Louis auf dem Arm die Tür.
»Hast du keinen Schlüssel? Er war gerade eingeschlafen!«, begrüßte sie ihren Lebensgefährten.
»Entschuldige.« Hendrik drückte Anne einen Kuss auf die Wange und nahm ihr den schreienden Louis ab. Er hob seinen Sohn hoch und ließ ihn vor seinem Gesicht wie einen kleinen Segelflieger herum kreisen. »Na, du kleiner Schreihals. Jetzt ist die Mutti wieder böse mit mir.« Louis begann vergnügt zu glucksen.
»Wie siehst du überhaupt aus?« Anne betrachtete die dreckige Kleidung ihres Freundes.
Hendrik sah zu ihr. »Schön, dass dir das auffällt. Ich habe todesmutig einen brutalen Drogendealer dingfest gemacht. Leib und Leben dabei riskiert!«
»Im Ernst?« Sie sah erschrocken zu Brander.
Dieser schüttelte hämisch grinsend den Kopf. »Er hat sich bei der Ergreifung eines kleinen Junkies auf den Hintern gesetzt.«
»Andi! Du sei mal ganz still! Ich sag nur Eisblume.«
Wer im Glashaus sitzt … Brander hob zum Zeichen seiner Kapitulation beide Hände.
»Denkst du, zwei gestandene Männer, die für Recht und Ordnung im Ländle sorgen, bekommen hier was Anständiges zu essen?«, wandte Hendrik sich wieder an Anne.
»Du weißt ja, wo die Küche ist«,
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