Eisblume
entgegnete diese ungerührt. »Jetzt gib mir mein Kind wieder. Der muss schlafen und nicht mit Papa Faxen machen.«
Hendrik übergab sein Kind und sah Anne nach, die mit Louis im Kinderzimmer verschwand. »Sie liebt mich. Sie kann das nur nicht so zeigen …«, sagte er laut genug, dass Anne es auch hörte. Er wandte sich wieder Brander zu. »Ich zieh mich schnell um. Setz dich irgendwo hin.«
Brander ging in die Küche und linste in die Töpfe, die auf dem Herd standen. Kurz darauf kehrte Anne aus dem Kinderzimmer zurück.
»Dir kann ich ein Essen ja nicht abschlagen, aber dieser kleine Macho … Hat er heute ordentlich gearbeitet?«
Brander nickte ernst.
»Na gut.« Sie nahm zwei Teller aus dem Schrank. »Ich darf ihn nicht zu sehr verwöhnen. Nicht, dass er meint, er hat hier ein liebes Hausmütterchen, das ihn umhegt und pflegt, sobald er von der Arbeit kommt.« Sie füllte Nudeln und Gulasch auf die Teller und erhitzte die Gerichte kurz in der Mikrowelle.
»Teilt euch doch die Elternzeit, dann kann er mal für dich sorgen.« Brander hätte nichts dagegen, die junge Kollegin wieder in seinem Team zu haben.
»Bring sie nicht auf dumme Ideen«, protestierte Hendrik aus dem Flur. Er war gerade dabei, sein Hemd zuzuknöpfen, und eilte in die Küche.
»So dumm ist die Idee gar nicht«, befand Anne.
»Siehst du, was du jetzt angerichtet hast?« Hendrik ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Na gut, ich mach dann die Sommermonate. So ab Mai, Juni. Und dann gehe ich mit Louis in die Eisdiele, ins Schwimmbad oder schlürf ‘nen Eiskaffee auf dem Marktplatz, während du in unseren nicht klimatisierten Büros Akten wälzt, langweilige Protokolle liest und zwischendurch stinkende Wasserleichen aus dem Neckar ziehen darfst.« Er grinste zufrieden vor sich hin.
Anne knallte den Teller vor Hendrik auf den Tisch. »Es wird nächsten Sommer drei Monate lang regnen und dir werden Schwimmhäute zwischen den Fingern wachsen!«
»Ist sie nicht wunderbar?«, fragte Hendrik Brander und begann zu essen.
»Was hat es denn mit dieser Eisblume auf sich?«, erkundigte sich Anne neugierig bei Brander. »Hat das vermisste Mädchen sich nicht so genannt?«
»Ja.« Er erzählte in kurzen Sätzen von der Begegnung am Vortag.
»Hast du Andi von unserer Theorie erzählt?«, hakte Anne bei Hendrik nach.
»Nee, was für ‘ne Theorie?«, erwiderte Hendrik mit spitzbübischem Grinsen.
»Er hat sie uns erzählt«, fiel Brander ihm in den Rücken.
»Und?«
»Kann was dran sein, muss aber nicht.« Brander schob den leeren Teller ein Stück von sich und lehnte sich zurück. »Merkwürdig ist das schon. Warum leugnet Radeke vor zwei Tagen, dass sie bei ihm gewesen ist, und heute behauptet er, sie wäre kurz da gewesen und er hätte sie wieder weggeschickt.«
»Wollt ihr noch einen Espresso?«
»Merkste was, Andi?« Hendrik grinste Brander verschwörerisch an. »Die will mitspielen.«
»Wart nur, wenn du heute Abend nach Hause kommst!«, drohte Anne.
»Krieg ich dann eins auf den Hintern?«
»Nein, dann darfst du das Klo putzen.« Auch Anne konnte sehr boshaft lächeln.
Hendrik stieß einen fassungslosen Seufzer aus. »Wie kannst du mich vor meinem Boss so bloßstellen?«
»Also, ich würde sehr gern einen Espresso trinken«, meldete sich Brander. Die beiden jungen Kollegen waren ja heute in Bestform!
»Stellt sich die Frage, wann war Nathalie bei Radeke und wie schnell konnte sie von dort in der Eugenstraße sein?«, überlegte Hendrik laut.
»Wenn sie es denn tatsächlich war.«
»Vielleicht kann euch dieser Pjal … Pajlow … wie heißt der?«, fragte Anne.
»Poljakow.«
»Vielleicht kann der euch die genaue Zeit sagen.«
»Wenn wir den mal finden würden«, seufzte Hendrik.
Aus dem Treppenhaus drang lautes Geschrei in die Wohnung. Anne verdrehte die Augen. »Mittwochnachmittag, vierzehn Uhr zehn. Yannik, Leon und Kevin aus der zweiten Etage stürmen das Haus.«
Branders Gesicht hellte sich auf. »Danke, Anne.«
»Gerne, wofür?«
»Nathalie ist kein leises Mädel, vielleicht hat sie Krach gemacht, als sie bei Radeke war. Lass uns mal seine Nachbarn befragen, ob die in der Nacht etwas gehört haben.« Er stand auf. »Danke für das Essen.«
Auch Hendrik erhob sich und gab Anne einen Abschiedskuss. »Muss ich wirklich heute Abend das Klo putzen?«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Die Haustür des renovierungsbedürftigen Altbaus stand offen. Zum zweiten Mal an diesem Tag betraten Brander und Hendrik das dunkle
Weitere Kostenlose Bücher