Eisblume
aus dem Krankenhaus gekommen war, hatten sich diese Gedanken miteinander verknotet, waren zu einem verwirrten Knäuel geworden. Doch so langsam fand er einen Anfang, um alles in eine Ordnung zu bringen. Je näher er Tübingen kam, desto klarer wurde ihm, wie er vorgehen musste. Die Unsicherheit wich. Vielleicht war er dieses Mal auf der richtigen Fährte.
Er stellte sein Fahrrad in den Unterstand gegenüber der Polizeidirektion, deren blassblaue Fassade sich an diesem Morgen gleich einem Chamäleon dem Grau des Himmels angepasst hatte. Auf dem Weg zum Eingang stieß Hendrik zu ihm, der ebenfalls gerade angekommen war.
»Und? Gestern noch das Klo geputzt?«, fragte Brander mit schadenfrohem Grinsen.
»Was denkst du denn?«, entgegnete Hendrik mit Leidensmiene.
Brander lachte kurz auf. Er dachte an die wohltuende Massage. Sein Abend war schöner gewesen.
»Meinst du, wir können heute Abend pünktlich Feierabend machen?«
»Hast du was vor?«
»Ich hab eine Überraschung für Anne geplant. Ich habe einen Babysitter bestellt und will sie heute Abend zur Feuerzangenbowle am Haagtorplatz entführen. Es ist ihr drittes Weihnachten in Tübingen, und sie war noch nie dort.«
»Ich war auch noch nie dort.«
»Ein Grund mehr, dass wir heute keine Überstunden machen sollten.«
»Sonst müsst ihr nächste Woche nach Entringen kommen.«
»Wieso? Gibt’s da auch Feuerzangenbowle?«
»Ja, allerdings eine etwas kleinere Veranstaltung. Eine Familie aus Cecilias Volleyballtruppe hat eine geräumige Scheune. Vor Weihnachten trifft sich da die ganze Mannschaft samt Familie und Freunden, schaut in klirrender Kälte den Film, und draußen vor der Scheune gibt’s Feuerzangenbowle im Kessel über einer Feuertonne gekocht.«
»Klingt auch nicht schlecht.«
»Ja, letztes Jahr kam ich mir vor wie ein Gettobruder aus der Bronx, als wir da nachts frierend um die glühende Tonne standen.«
Brander blieb noch eine halbe Stunde bis zum Beginn der Soko-Sitzung. Er holte seine Skizze hervor, betrachtete das Blatt, zeichnete schließlich eine dünne Linie von Nathalies Symbol unten rechts hinauf zu dem Stiefel oben in der Mitte des Blattes. Die Linie streifte an einer Ecke beinahe die Skizze von Vockerodt in der Mitte des Blattes. Zufall? Brander schrieb die Zahl zwei neben den Stiefel. Es war nur ein Gedanke, ein Zusammensetzen von Puzzlestücken, die vielleicht passen konnten.
Peppi kam gut gelaunt ins Büro getanzt und trällerte »Ich geh heut Abend zur Feuerzangenbowle« vergnügt vor sich hin.
Brander beobachtete sie amüsiert. »Hendrik will mit Anne auch hin. Ich könnte eigentlich Cecilia fragen, und dann könnten wir alle gemeinsam gehen.«
Peppi hielt erschrocken inne. »Nein, auf keinem Fall. Ich will euch da heute Abend nicht sehen.«
»Das ist ein öffentlicher Platz.«
»Ach nee, komm. Ich will heut Abend keine Kollegen um mich haben.«
»Ist er so hässlich?«, fragte Brander mit hinterhältigem Grinsen. Früher oder später würde er herausfinden, mit wem sich die Kollegin traf.
»Blödsinn. Es ist … es ist erst unsere erste richtige Verabredung. Und wenn ihr alle da seid, dann wird das nichts.«
»Vielleicht hättet ihr euch da einen etwas weniger öffentlichen Platz suchen sollen?«
»Ach, Andi! Ich …« Sie hielt inne. »Vielleicht hast du recht.« Sie griff zum Telefonhörer und drückte auf eine Kurzwahltaste.
Also doch ein Kollege! Aber wer? Peppi bemerkte Branders lauernden Blick, legte schnell wieder auf, lächelte unschuldig. »Später. Gehen wir zur Sitzung?«
»Ja, ich muss hier noch eben …« Er deutete diffus auf die Papiere vor sich.
»Ich geh schon vor. Will mir noch ‘n Kaffee holen.«
Brander nickte. Kaffee! Natürlich wollte sie von ihrem Handy aus mit ihrer geheimen Verabredung telefonieren!
Er sah wieder auf seine Skizze, überflog kurz die Notizen, die er sich am Abend zuvor beim Lesen der Protokolle gemacht hatte, dann packte er seine Unterlagen und stand auf. Einen Moment lang war er versucht, die Anrufliste in Peppis Telefonspeicher aufzurufen, dann schalt er sich, dass sie sicherlich ihre Gründe für die Geheimniskrämerei und er nicht das Recht hatte, in ihrem Privatleben herumzuschnüffeln.
»Hendrik, ist Poljakow noch in Reutlingen?«, eröffnete Brander die Sitzung.
Hendrik hob die Schultern. »Ich denke schon.«
»Informier dich, und wenn er noch da ist, lass ihn hierherbringen. Ich will mit ihm sprechen. Was ist mit Radeke?«
»Wurde gestern bereits wieder aus
Weitere Kostenlose Bücher