Eisblume
doch hatten sie immer gemeinsam eine Lösung gefunden. Allerdings musste er sich auch eingestehen, dass oft genug Cecilia diejenige war, die die Dinge beim Namen nannte, während er noch für sich allein nach einer Lösung gesucht hatte.
»Darf ich dir mal die Fetzen vom Leib reißen?« Er strich ihr durch die Haare.
Sie rutschte neben ihn auf den Boden. »Und wie war dein Tag, Liebling?«
»Später.« Sein Mund suchte erneut ihre Lippen, während seine Finger zielstrebig unter ihre Bluse glitten.
Freitag
Erst beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte Brander seiner Frau, dass sie Nathalie gefunden hatten.
»Das erzählst du mir erst jetzt?«, rief sie empört.
»Sei froh, dass ich es dir überhaupt erzähle. Eigentlich geht es dich nämlich gar nichts an. Ich dachte nur, es würde dich beruhigen.«
»Natürlich beruhigt es mich!«, entgegnete Cecilia energisch.
Brander zog skeptisch die Stirn in Falten und biss in sein Brötchen.
»Und es geht mich sehr wohl etwas an«, setzte sie hinzu. »Wo ist sie?«
Er erinnerte sich an ihre Reaktion, als er ihr den Text von Nathalie gegeben hatte. Du machst deinen Job. Ich mache meinen. Er setzte sein bestes Pokerface auf. »Das darf ich dir nicht sagen. Dienstgeheimnis.«
»Andi, also wirklich. Ich mache mir Sorgen um das Mädchen!«
»Ja, die mache ich mir auch.« Er biss wieder von seinem Brötchen ab.
»Und?«
»Was und?«
»Hörst du jetzt auf mit diesem Spielchen?«
»Liebste Ceci, die Suche nach diesem Mädchen gehörte zu meinen Ermittlungen, und diese Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.«
»Frag du mich noch einmal um meinen Rat!«, schmollte Cecilia. »Ich will doch gar nichts über deine Ermittlungen wissen. Ich will nur wissen, wo das Mädchen ist und ob es ihr gut geht.«
Er trank einen Schluck Kaffee, spürte ein leichtes Unbehagen, als er merkte, wie sehr seine Frau sich um das Mädchen sorgte. »Es geht ihr gut … einigermaßen.«
»Was heißt ›einigermaßen‹?«
»Sie hat sich die Hand verstaucht, und ihre Mütze wurde geklaut.«
Cecilia verzog kummervoll das Gesicht. »Ist sie wieder bei ihren Eltern?«
»Im Moment noch nicht.«
Sie sah ihn beunruhigt an. »Ihr habt sie doch nicht eingesperrt?«
»Nein, sie ist im Krankenhaus und nervt dort vermutlich die Krankenschwestern mit ihrem unmöglichen Benehmen.«
Brander beobachtete seine Frau. Er hatte es geahnt, befürchtet. Schon bei der ersten Begegnung mit Nathalie in Stuttgart. Wie sie Nathalie angesehen hatte und auf das Mädchen eingegangen war. Cecilias Blick ging in die Ferne, ein regungsloses Gesicht, die Gedanken weit, weit fort, in einer Welt, die niemals die ihre sein würde. Auch wenn er diesen Blick schon lange nicht mehr gesehen hatte, erkannte er ihn sofort. Wann hatten sie zuletzt über das Thema Kinder gesprochen? Bis vor wenigen Tagen hatte er gedacht, sie hätten es abgeschlossen. Endgültig. Er legte seine Hand auf ihre.
»Hey, alles in Ordnung?«
Sie blinzelte kurz, um die inneren Bilder zu vertreiben. »Ich weiß nicht. Mir geht viel durch den Kopf.«
»Wir reden später, okay?«
Sie sah ihn an, eine Mischung aus Enttäuschung und Ärger. »Später? Wie oft habe ich das schon von dir gehört?«
Er schluckte hart. »Bitte, Ceci, jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Wir müssen beide zur Arbeit.«
Sie deutete ein Nicken an.
Noch immer hingen graue Regenwolken über dem Ammertal. Trotzdem hatte Brander seine Fahrradkleidung angezogen und sich mit dem Rad auf den Weg zur Arbeit gemacht. Vermutlich würde er spätestens am Abend bei der Heimfahrt ordentlich nass werden. Aber das war ihm gleichgültig. Er versuchte, die Gedanken an Cecilia zur Seite zu schieben, stattdessen die frische Luft zu genießen, während er über den Landwirtschaftsweg fuhr. Nass und dunkel lagen die Felder und die Gleise der Ammertalbahn neben ihm. Auch der Schönbuch, der sich in der Ferne zu seiner Linken erhob, stand düster da. Dazwischen rauschte der Verkehr über die B 28. Die Sankt Remigius Kapelle, die landläufig Wurmlinger Kapelle genannt wurde, verschwand auf einem Hügel im Dunst der Regenwolken. Wenige Hundert Meter vor ihm war ein anderer Radfahrer unterwegs. Aber an diesem Morgen nahm Brander das Rennen nicht auf, er blieb bei seinem Tempo. Er hatte das Gefühl, dass sich die Gedanken im Rhythmus des Auf und Ab seiner Beine in seinem Kopf lockerten, entwirrten und jeder Gedanke automatisch in die richtige Richtung wanderte. Seit er am Vortag
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