Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Rausziehen des Jungen ergibt nur dann einen Sinn, wenn der Mörder wollte, dass er nicht im Teich gefunden wird – weil dort eine Leiche liegt, die nicht entdeckt werden sollte. Sonst hätte er den Kleinen ja auch einfach im Wasser lassen können.«
Judith beruhigte sich wieder. Sie sah Walter nachdenklich an.
Dann wandte sie sich Laura zu und berichtete über die Arbeit von Dampmanns Mutter während der Nazizeit und die Bücherlisten.
»Wirklich interessant. Ich weiß von unserer Universitätsbibliothek, dass es da allerhand Bücher mit jüdischen Namen auf Exlibris gibt. Die Ausplünderung der Juden durch die Nazis machte auch vor deren Besitz an Kunstwerken, Antiquitäten, Sammlungen und eben den Bibliotheken nicht halt. All das wurde beschlagnahmt und einfach zum Eigentum des Reiches erklärt.«
»Und wo sind die ganzen Sachen nach dem Krieg gelandet?«, wollte Walter wissen.
»Vieles ist sicher immer noch in öffentlichem Besitz – wie in unserer Universitätsbibliothek, manches aber auch in Privathand – und über die Zeit wandelt sich Besitz in Eigentum. Da muss nicht einmal in jedem Falle kriminelle Energie dahinter stecken; nach ein, zwei Generationen weiß oft kaum noch jemand über den Ursprung der Erbstücke Bescheid.«
»Also könnten sich damals geraubte Bücher heute bei irgendjemandem zu Hause befinden oder eben die wertvolleren auf dem antiquarischen Markt gehandelt werden«, konstatierte Walter.
»Vielleicht findet Peter Kreuzer sogar solche Exemplare in seiner Stadtbibliothek«, meinte Laura.
»Wir haben die alten Listen aber nicht in Michaelis’ Haus gefunden, die sind, wie alle anderen Papiere, verschwunden«, erinnerte Judith die beiden. »Es wird sehr schwierig werden herauszufinden, welchen Weg die Bücher genommen haben.«
»Stimmt, interessant finde ich das trotzdem«, meinte Walter, »aber nun gehe ich ins Bett. Schlaft schön«, verabschiedete er sich.
Laura und Judith plauschten noch ein wenig über alte Bücher, die heute ihren ganzen Tag begleitet hatten, doch nicht über deren Schicksal, sondern über ihre Schönheit – die alten Papierbögen, mit Bleilettern gesetzte Texte, Goldschnitt und Lederprägungen. Was für eine sinnliche Welt!
Bald schon überließen sie der dankbar schnurrenden Wilhelmina das warme Wohnzimmer.
Freitag
~ 56 ~
Judith Brunner war vor allen anderen am frühen Morgen in der Dienststelle. Es war unheimlich ruhig im ganzen Haus. Sie hatte sowieso nicht schlafen können. Gegen Morgen war ihr ein inspirierender Gedanke gekommen, den sie aber lieber erst allein prüfen wollte, ehe sie ihn mit jemandem teilte.
Die Wortwahl von Michaelis hatte sie nachdenklich gemacht, er hätte jemanden ›am Hals‹. Das klang für sie nahezu privat oder unfreiwillig vertraut und nicht nach Geschäftsbeziehung, ganz gleich, wie illegal das Geschäft auch war.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie davon, dass es sich um einen Bekannten oder gar Verwandten von Michaelis handeln musste. Aus den bisherigen Ermittlungen ging jedoch nicht hervor, dass Michaelis nähere Beziehungen gepflegt hätte. Niemand hatte etwas von Freunden oder Vertrauten erwähnt oder gar beobachtet. Wenn Judiths – zugegeben vage – Ahnung sie nicht trog, blieb also nur eine verwandtschaftliche Verbindung, die Michaelis ›am Hals‹ hatte. Wer könnte das sein? Hatte Dampmann recht mit dem dritten Mann? Er hatte von seinem leiblichen Vater erst aus den Briefen im Nachlass der Mutter erfahren. Gab es dazu einen Namen? Der Vater saß immerhin im Gefängnis, als er die Briefe schrieb. Irgendeine Spur war dort mit Sicherheit aufzunehmen. Vielleicht konnte er sogar einige nützliche Auskünfte geben, die den Mord an seinem Sohn aufklären halfen.
Judith Brunner ging in den Ermittlungsraum. Doch in sämtlichen Unterlagen und Vermerken war dazu nichts erfasst. In den Protokollen zu den Hausdurchsuchungen bei Dampmann und bei Michaelis gab es keinerlei Hinweise darauf, dass private Briefe der Mutter oder des Vaters gefunden wurden. Da sich laut Dampmanns Aussage die Briefe bei Michaelis im Haus befanden, als er getötet wurde, konnte sie nur der Mörder von dort mitgenommen haben.
Judith Brunner griff zum Hörer und bat, Hartmut Dampmann aus seiner Zelle ans Telefon zu holen. Das war so zeitig am Morgen zwar unkonventionell, versprach jedoch den schnellsten Erfolg.
»Guten Morgen. Hauptkommissarin Brunner hier.«
»Sie sind gut«, schimpfte Dampmann ohne Gruß
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