Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Überlegen fragte sie: »Und der Vater Michaelis’ war aus Gardelegen?«
»Das nehmen wir der Einfachheit halber erst mal an. Wenn wir hier kein Glück haben, versuchen wir es bei den Meldestellen in Salzwedel, Klötze und Stendal weiter. Sollte er da auch nicht erfasst sein, gehe ich über die Zentrale.« Judith Brunner sah auf ihre Uhr. In spätestens einer Stunde würden alle Mitarbeiter im Dienst sein.
Die drei Frauen in der Meldestelle waren tatsächlich bereits da. Sie wandten sich neugierig dem frühen Gast zu, als sie die Tür gehen hörten. Die Mitarbeiterinnen waren häufige Besuche aus den anderen Abteilungen gewöhnt, nur dass die neue Chefin persönlich zu ihnen kam, war schon etwas anderes. Manche Kollegen hatten bereits einiges von ihr gehört, andere sie sogar schon gesehen und nun konnte man sich ein eigenes Bild machen. Ein bisschen privilegiert fühlten sie sich schon durch den Besuch. Doch deutete die frühe und unerwartete Stunde darauf hin, dass die Hauptkommissarin nicht nur aus Höflichkeit vorbeikam.
Die Gerüchte stimmten jedenfalls. Sie sah wirklich gut aus. Die rostrote Cordhose passte perfekt zu dem dunklen, blaugrauen Rollkragenpullover aus feinster weicher Wolle. Ihre hellbraunen Haare fielen bis auf die Schultern und glänzten selbst im fahlen Neonröhrenlicht. Die eleganten Lederstiefel mit zierlichen Schnallen an den Waden und halbhohen Absätzen verliehen der eher unspektakulär wirkenden Kleidung eine extravagante Note.
Judith Brunner begrüßte die Frauen herzlich und stellte sich vor. Sie gaben sich die Hände und die drei nannten ihre Namen: Winkler, Gluck und Wall. Die Frauen trugen zwar Zivilkleidung, aber da sie alle schwarze Hosen und dazu sehr ähnliche Strickjacken in Braun oder Beige anhatten und sich auch ihre dauergewellten Kurzhaarfrisuren sehr ähnelten, wirkte es fast, als trügen sie Uniformen.
Offenbar war es der Hauptkommissarin gelungen, bei der Schilderung ihres Anliegens den richtigen Ton zu treffen, denn nach kurzem Blickkontakt der drei ging die älteste und wohl auch erfahrenste, Frau Gluck, sofort los, um die Meldekarte zu suchen. Sie verschwand in einem langen Gang, der von mehreren Dutzend Karteischränken gebildet wurde.
Die beiden anderen wussten nicht so recht, was sie mit ihrer neuen Vorgesetzten anfangen sollten. Einfach weggehen und Meldeeinträge erledigen? Oder eifrig Anfragen sortieren? Irgendwas reden? Was war angemessen für den ersten Arbeitsbesuch der Chefin?
Judith Brunner spürte die Unsicherheit. »Es ist sehr nett von Ihnen, mir so prompt zu helfen. Sie haben sicher viel zu tun.«
»Schon. Wird ja wohl was Wichtiges sein«, nahm die junge Witwe, Frau Wall, an.
»Das stimmt. Es geht um einen Mordfall. Wir suchen Verwandte des Opfers.«
»Ach, das.«
»Sie haben davon gehört?« Judith Brunner wollte das Gespräch am Laufen halten.
Frau Winkler erklärte: »Spricht sich schnell rum hier. Ritters Leute sind ja dauernd unterwegs und im Labor machen sie auch Überstunden. Sogar im Schreibdienst sitzen sie lange. Hat ja wohl für manche sogar neue Technik gegeben.«
Deutlich lenkte die fülligere Frau von beiden ihren Blick zu einer uralten Schreibmaschine.
Judith vernahm die Botschaft hinter der Bemerkung sehr wohl. Tatsächlich schienen die letzten Jahrzehnte an den Räumen und der Möblierung der Meldestelle nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Die vielen Karteischränke in diversen Tarnfarben waren zerkratzt und das Stahlblech oft zerbeult. Einige Schübe schienen nicht mehr richtig zu schließen und die Beschriftungen lösten sich in unterschiedlichen Stadien ab. Die Karteischränke wirkten in ihrer Menge zwar imposant, leider sahen sie, wie die übrigen Büromöbel, einfach nur schäbig aus.
Judith Brunner wollte jedoch jetzt nicht darauf eingehen. So viel Zeit hatte sie gar nicht mitgebracht. Deswegen lenkte sie ab: »Es war von Anfang an auch mein Eindruck, dass hier in der Dienststelle alle ernsthaft und engagiert mitarbeiten und dabei jeder seinen Beitrag leistet.« Dann sah sie Frau Gluck mit einem Blatt Papier in der Hand durch den Gang herankommen und schloss gespannt: »Wenn wir mit dem Mordfall fertig sind, nehme ich mir etwas mehr Zeit und wir unterhalten uns in Ruhe über Ihre Arbeit hier. Einverstanden?«
Alle nickten. Frau Gluck schwenkte eine Kopie der Meldekarte. »Wir haben ihn!«
»Ausgezeichnet.«
»Na, leider nur mit Einschränkungen, denn er ist schon vor Jahren gestorben.«
Die Hauptkommissarin
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