Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
willkürlich eintrug, um nicht zu viele Menschen am gleichen Tag vom selben Ort aus den Angehörigen als verstorben zu melden. Sogar falsche Todesorte wurden beurkundet.«
»Erfassen Sie auch die Todesursachen?« Judith Brunner dachte an die Menschenversuche.
Dr. Meden schüttelte den Kopf. »Die stimmten in den wenigsten Fällen. Oftmals wurden die Leute mit Medikamenten umgebracht oder man ließ sie schlichtweg verhungern. Den Angehörigen wurde dann irgendeine gängige Todesursache mitgeteilt, Herzversagen, Lungenentzündung. Das hilft bei unserem Projekt nicht weiter.«
»Gibt es Hinweise auf Menschenversuche?«
»Bisher wenige, nur in einigen Akten, möglicherweise Experimente mit Medikamenten und in der Schlafforschung. Aber das ist wieder ein Thema für sich. Wir wollen erst einmal die Opfer finden, sie benennen und ihrer dann gedenken.«
»Darf ich fragen, wie weit Ihre Forschungen gediehen sind?«
»Oh, wir brauchen sicher noch ein paar Monate. Uns fehlen immer noch viele Details.«
»Wie viele Leute arbeiten denn mit?«
»Das ist unterschiedlich, je nachdem, ob die Klinik Studenten im Praktikum hat, die müssen nämlich etwas mithelfen. Ab und zu gibt es Diplomanden von den Hochschulen, na ja, oder es sind eben Leute, wie ich, die als Rentner über etwas mehr freie Zeit verfügen. Ein paar engagierte Hobbyhistoriker unterstützen das Projekt auch. Ich halte die Sache quasi am Laufen. Außerdem müssen wir selbstverständlich darauf achten, wem wir die Patientenakten zeigen. Zum Beispiel sind oftmals Fotos der Patienten drin, auch Nacktaufnahmen von Behinderten. Da kann ich keinen Wichtigtuer an die Akten ranlassen, der dann mit einem Abzug auf der nächsten Party angeben will, verstehen Sie?«
Judith Brunner nickte zustimmend. »Könnten Sie eine Liste von allen bisher am Projekt beteiligten Mitarbeitern zusammenstellen? Wäre das möglich?«
Interessiert blickte Dr. Meden hoch. Diese Frage gefiel ihm offensichtlich nicht. »Wozu?«
»Wir möchten sehen, ob vielleicht ein Name dabei ist, auf den wir auch anderweitig bei unseren Ermittlungen gestoßen sind. Das ist so üblich.«
Unwillig zuckte Dr. Meden mit den Schultern. »Ich kann es ja mal versuchen, wenn Sie drauf bestehen.«
»Danke sehr, Sie würden uns wirklich damit helfen. Abschließend möchte ich Sie noch bitten, dass Sie sich diese Notizen genau ansehen und mir sagen, ob Ihnen dazu etwas einfällt.« Sie reichte ihm eine vergrößerte Kopie des gefundenen Zettels mit den Aktenzeichen.
Dr. Meden war verblüfft und fragte: »Wo haben Sie diese Notizen her?«
»Wieso? Was ist damit?«
»Was damit ist? Das sind meine Notizen! Ich hab sie schon gesucht! Wie kommen Sie denn dazu?«
»Was?! Ihre Notizen?« Laura brach ihr Schweigen.
Judith Brunner war nicht weniger überrascht.
»Ja, das ist mein Zettel«, bestätigte Dr. Meden, »mir war nämlich endlich eingefallen, wie ich einen Praktikanten noch sinnvoll für ein paar Tage beschäftigen könnte. Wissen Sie, wir wollen unser Projekt in einer Ausstellung präsentieren. Sogar ein Buch sollte veröffentlicht werden, da wäre dann im Anhang eine Begriffserklärung nützlich. Für diese Abkürzungen hier«, er hielt Judith Brunner die Fotokopie wieder hin, »sollte der junge Mann die Beiträge schreiben.«
So einfach war es also! Wer hätte das gedacht.
»Würden Sie mir bitte noch verraten, wann Sie die Notizen gemacht haben?«
»Das kann ich Ihnen genau sagen. Das war am Mittwoch. Mittwochs gehen meine Frau und ich immer in ›Feine Sache‹ zum Mittagessen. Wir machen das schon ein paar Jahre so. Na, beim Kaffee nach dem Dessert ist mir die Idee für den Praktikanten gekommen. Ich habe mir einen Kellnerblock vom Bestecktisch geschnappt und das da aufgeschrieben. Ist keinem aufgefallen, dass ich mir den Block ›geliehen‹ habe: Links von uns saßen zwei turtelnde junge Leute, die bekamen gar nichts mit. Am anderen Nachbartisch saß ein einzelner Mann, der auf jemanden wartete und konzentriert nur in Richtung Tür sah. Wahrscheinlich kam sein erwarteter Gast irgendwann, denn er streifte beim hastigen Rausgehen noch unsere Tischdecke und riss fast das ganze Geschirr runter.«
»Können Sie uns den Mann bescheiben?«, fragte Judith Brunner interessiert nach.
Dr. Meden schüttelte nur den Kopf. »Tut mir leid, so genau habe ich ihn mir nicht angesehen.«
Judith Brunner und Laura Perch hatten viel erfahren und bedanken sich beim Verabschieden auch für die leckere Bewirtung.
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