Eisblut
vereinten Kräften. Details erzähle ich dir später. Er will dich
sehen. Angeblich wegen deines Gesprächs mit Mohsens Mutter. Ich rufe ganz
offiziell als seine inoffizielle Assistentin an, um einen absolut inoffiziellen
Termin mit dir zu machen.«
Anna verspürte zu ihrem Ãrger leichte Enttäuschung. Termin klang
wenig privat. »Das kann er sich alles von Pete erzählen lassen, dazu braucht er
mich nicht.«
»Da Pete bei dem Gespräch unter vier Augen nicht zugegen war, reicht
das Chris nicht. Informationen aus zweiter Hand sind nichts wert, meint er.«
Anna tippte sich unwillkürlich an die Stirn: »Pete wäre Info aus
dritter Hand. Ich bin zweite. Also sollte er mit Frau Hamidi selbst reden.«
Yvonne gluckste vor Vergnügen: »Volker kam zu dem gleichen logischen
Ergebnis.«
»Und?«
»Chris hat zuerst blöd geguckt, dann ist er sauer geworden und hat
rumgepampt, Volker solle das Denken ihm überlassen. Dann hat er über den Kaffee
gemeckert und ist in sein Büro gegangen. Türenknallend. Es ist wundervoll, dass
er wieder da ist!«
Anna schwieg nachdenklich.
»Also. Was soll ich Chris sagen? â Komm, Anna. Er hat doch nur so
sauer reagiert, weil wir alle geschnallt haben, dass er dich gar nicht wegen
Frau Hamidi sehen will. Zumal hier keiner an ihre Geheimdienst-These glaubt.
Schon gar nicht mehr nach der Mail, die du Daniel geschickt hast. Chris sucht
nur einen Vorwand. Aber das muss ich dir ja wohl kaum erklären. SchlieÃlich
bist du Psychologie-Dozentin.«
»Sei nicht so frech«, gab Anna zur Antwort. »Er soll um acht bei mir
sein ⦠nein, Blödsinn, warte. Er soll ins Luxor kommen. Um halb neun.«
»Wird gemacht.«
Anna legte auf und sah auf die Uhr. Sie hatte noch anderthalb
Stunden. Ãlbad, Haare waschen, Feuchtigkeitsmaske, Maniküre ⦠Nein, stopp. Sie
würde sich keinesfalls wieder mit Christian einlassen. Deswegen war es gut, ihn
nicht zu sich nach Hause bestellt zu haben. Die spontane Alternative, die sie
vorgeschlagen hatte, war hingegen nicht gut. Im Luxor hatten sie vor einem
guten Jahr ihren ersten Abend verbracht. Es war der Anfang von etwas gewesen,
was längst zu Ende war.
Unzufrieden sitzt der Mann in seinem Sessel und schaut
sich den Film noch einmal an, bei dem er Regie geführt hat. Die Inszenierung
hat nicht so viel Vergnügen bereitet wie die vor ein paar Tagen. Sicher, vor
ein paar Tagen, das war eine junge hübsche Frau gewesen, mit der konnte er noch
andere Spiele treiben. Wenn so ein Frauenkörper zur Verfügung steht, dann weiÃ
er ihn auch zu nutzen. Aber darum geht es nicht. Nicht um Sex, der ist
Abfallprodukt. Frauen kann er genug haben, die stehen Schlange bei ihm.
Der Mann hält inne, spult kurz zurück und sieht sich eine
möglicherweise prägnante Stelle noch einmal genau an. Doch beim zweiten
Hinsehen findet er auch diese Szene reichlich langweilig. Er und der Penner waren
offensichtlich keine kreative Kombination gewesen. Es gehören immer zwei dazu.
Vielleicht lag es daran, dass dieser Lumpenproletarier ihm nur zufällig
untergekommen ist, er hat ihn schlieÃlich nicht besetzt. Vielleicht war er aber
auch noch etwas müde von der vorherigen Inszenierung. Die war sehr
anspruchsvoll gewesen, voller überraschender Feinheiten und Höhepunkte. Auf wie
viele verschiedene Arten die Frau versucht hat, ihn zum Aufhören zu bringen.
Ein echtes Talent! Man konnte mit ihr spielen wie mit einem Kätzchen. Sie
verlegte sich aufs Schnurren, aufs Fauchen und Kratzen, aber selbstverständlich
war sie ihm nicht gewachsen gewesen. Aber auf jeden Fall sehr amüsant.
Jetzt fühlt er sich ein wenig müde. Seine Kreativität braucht eine
Pause, wenn das nächste Drehbuch, der nächste Film wieder etwas Besonderes
werden soll. Oder liegt die Verantwortung für dieses öde Standardwerk, das da
vor seinen Augen flimmert, nicht bei ihm, sondern bei dem Penner? Mal ganz
abgesehen davon, dass er Arbeit gemacht hat, die nicht eingeplant war. Der
Penner hatte sich das Hirn im Laufe der Jahre schon so weggesoffen, dass mit
ihm kein bewusstes Arbeiten möglich gewesen war. Sicher, er hatte Angst gehabt,
klar hatte er geschrien, gefleht und geheult. Aber er zeigte keine Konstanz der
Furcht, bei jeder einzelnen Szene verkroch sich seine Wesenheit viel zu schnell
in eine Ecke des Unbewussten, sein Geist war flüchtig wie
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