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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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vergrault.«
    Anna nickte: »Du warst verdammt gut darin.«
    Â»Hab in meiner Ehe schon viel geübt. In den Sand setzen ist seit
Jahren meine Spezialität.« Christian blickte verlegen auf seine auf dem Tisch
liegenden Hände, wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte.
    Wenn Anna nicht genau gewusst hätte, wie hart, stur und verbohrt
dieser Kerl sein konnte, hätte sie fast gelacht. So blieb sie vorsichtig. Er
hatte ihr verdammt wehgetan. Obwohl es am Anfang wirklich gut lief. Trotz der
traumatischen Erlebnisse, die sie zu verarbeiten hatte, war sie glücklich mit
ihm gewesen. Er stand ihr zur Seite, gab ihr alle Zeit der Welt, war liebevoll,
rücksichtsvoll, verständnisvoll. Und er hatte es wahrlich nicht einfach mit
ihr. Sie hatte Angst vor Schatten, Angst davor, beobachtet zu werden. Sie war
ihren Patienten gegenüber misstrauisch. Sie wollte keine neuen Patienten mehr
annehmen, weil sie Furcht hatte, Fremde in ihre Praxis und damit in ihr Haus zu
lassen. Also schloss sie ihre Praxis schließlich ganz, wodurch sie sich als Versagerin
fühlte. Anfangs hatte sie gedacht, sie würde es schaffen, ganz allein und ohne
jede Hilfe. Doch je heftiger sie ihre Beklemmungen, die sich immer mehr auch in
körperlichen Symptomen niederschlugen, zu unterdrücken versuchte, desto
schlimmer wurde es. Und je mehr sie sich wider besseres Wissen selbst
therapieren wollte, desto dünnhäutiger wurde sie. Also ging sie schließlich,
fertig mit den Nerven, ratlos und voller Angst, Christian zu viel zuzumuten, zu
ihrem alten Doktorvater in Supervision und fand langsam, sehr langsam zu ihrem
inneren Gleichgewicht zurück. Christian unterdessen verlor, was ihm neben Anna
am meisten bedeutete: seine Arbeit. Von dem Tag an veränderte er sich. Nun war
er es, der sich als Versager fühlte, und Anna hätte sich nichts sehnlicher
gewünscht, als ihm all die Liebe, mit der er sie so lange unterstützt hatte,
zurückzugeben. Doch er wollte sie nicht. Er wies jeglichen Annäherungsversuch
zurück und verkroch sich an einen düsteren Ort, an dem er sonst keinen duldete:
in sich selbst. Er jammerte nicht, er schwieg. Und wenn er einmal nicht
schwieg, dann fluchte er.
    Anna übte sich in Engelsgeduld, bis auch ihr Vorrat zur Neige ging.
Was ursprünglich als liebevolle Zuwendung gedacht war, geriet immer mehr zu
fruchtlosen Diskussionen über Standpunkte, an denen sie sich gegenseitig
aufrieben. Christian empfand die Welt als sinnentleert, hoffnungslos und
ungerecht. Anna hingegen versuchte ihm klarzumachen, dass er sich nur selbst
spiegelte und wurde dabei immer entnervter von ihren erfolglosen Bemühungen.
Christian hörte nicht auf zu schimpfen, er hörte nicht auf zu fluchen, er trank
mehr, als ihm zuträglich war, und schließlich beschimpfte er nicht mehr nur die
Hamburger Polizei, den Staat, das Rechtssystem, das Leben und die ganze Welt, sondern
er beschimpfte auch Anna. Bis sie nicht mehr die leiseste Hoffnung hatte, durch
die schwarze Wolke, die ihn umgab, irgendwann wieder hindurchdringen zu können,
und es eines Abends geschah, dass er sie anschrie: »Sag doch, dass ich dir auf
die Nerven gehe.« Und sie sagte es.
    Â»Sag, dass ich aufhören soll zu fluchen.«
    Â»Hör auf.«
    Â»Sag, dass du mich satt hast.«
    Â»Ich habe dich satt.«
    Dann war sie ins Bad gegangen, hatte die Kosmetika, die sie im Laufe
der Monate zu ihm mitgebracht hatte, eingepackt und ihre paar Klamotten, die in
seinem Schrank hingen, und war gegangen.
    Natürlich hatte sie ihn noch geliebt. Aber sie hatte ihn auch
verabscheut. Dafür, dass er den Weg zurück aus dem Sumpf nicht mit ihr gehen
wollte. Auch sie war in die Hölle hinabgestiegen, und er hatte ihren Weg zurück
begleitet und sie dabei an der Hand gehalten. Nun war sie stinksauer, weil er
sich weigerte, ihre Hand zu nehmen und mit ihr aufzutauchen aus dem düsteren
Keller seiner selbst, als sei das, was ihm passiert war, ungleich schlimmer als
das, was ihr passiert war.
    Â»Wir haben uns gegenseitig sehr, sehr viel zugemutet«, sagte Anna
leise zu Christian. Die Bedienung brachte die Vorspeisen, sodass Christian
nicht sofort antworten konnte. Doch er sah Anna in die Augen, und sein Blick
war fest und wankte nicht mehr: »Du hast mich dir wenigstens helfen lassen.
Während ich nur in Selbstmitleid gebadet und dich weggebissen habe. Als seist
du schuld an meiner Misere. Ich war

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