Eisblut
wohl eine Ausgewöhnungsphase
brauchte, sie hinge einfach zu sehr an der Soko, respektive ihren Mitgliedern,
um sich von einem Tag auf den anderen abzunabeln. Sie holte zwei dampfende
Tassen Kaffee aus der Küche, setzte sich zu Daniel, die FüÃe auf seinen Tisch
gelegt, und berichtete begeistert von Annas Seminar und der Coolness, mit der
sie Martins zweifelhaften Humor abgebügelt hatte. Daniel erzählte ihr im
Gegenzug von Christians offizieller Wiedereinstellung, er hatte mit Eberhard
telefoniert.
»Es wäre einfach zu krass, wenn Anna und Chris nicht wieder
zusammenkämen. Die lieben sich, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock«,
fand Yvonne. Daniel nickte abwesend und tippte etwas in seinen Computer.
»Liebe soll ja ganz schön schön sein«, sagte Yvonne, »vielleicht
werde ich mir auch mal einen Freund zulegen. Da ist ein Typ an der Uni, der
Freche, von dem ich eben erzählt hab, der sieht voll klasse aus. Ich könnte ja
mal ein bisschen mit ihm flirten.«
»Mach das«, stimmte Daniel ihr zu und tippte weiter. Angestrengt
rollte Yvonne mit den Augen. Wie konnte Daniel nur so ein Nichtsmerker sein?
Was fand sie eigentlich an ihm? Okay, seine langen dunklen Haare waren
wunderschön und dufteten immer verrückt gut. Und seine Wimpern waren die
längsten der Welt. Aber sonst?
»Hast du eigentlich eine Freundin?«, bohrte sie weiter und
versuchte, dabei möglichst beiläufig zu klingen. Jetzt oder nie. Wann war sie
schon mal mit Daniel allein? Er blickte überrascht hoch: »Komisch, dass du
jetzt fragst. Seit zwei Wochen habe ich tatsächlich eine. Aber sagâs nicht den
anderen, von denen ernte ich schon genug Spott und Hohn, weil ich abnehmen
will.«
Yvonne schluckte. Sie hatte es befürchtet, und jetzt wusste sie es.
Daniel bemerkte ihre Bestürzung nicht, denn er war viel zu begeistert von
seinen eigenen Gefühlen. »Das war total verrückt. Ich stehe in meiner
Stammkneipe im Vier-drei-neun, und sie steht neben mir und gibt mir plötzlich
ein Bier aus. Fand ich echt cool, obwohl ich ja nicht so auf Bier stehe, aber
das hat noch nie âne Frau gemacht. Dann sind wir ins Gespräch gekommen, und ⦠na
ja, nach meinem dritten oder vierten Satz, es ging jedenfalls verdammt schnell,
greift sie über den zwischen uns geparkten Barhocker, zieht mich am Shirt zu
sich und küsst mich. Ich hätte fast das Gleichgewicht verloren. Seitdem sind
wir zusammen. Dabei ist sie gar nicht mein Typ. Sie ist groà und mager und hat
dunkle Haare. Aber verdammt locker, die Braut. Irre, nicht?«
»Ja. Irre.« So irre einfach, dachte Yvonne bestürzt. Und sie hatte
über ein Jahr gegrübelt, wie sie es anstellen könnte, Daniel auf sich
aufmerksam zu machen. Und ob sie zu dick sei oder zu klein oder zu blond, zu
kurzhaarig, zu frech, zu Yvonne. Mein Gott, was war sie bescheuert, am besten
würde sie sich irgendwo einbuddeln und nie mehr rauskommen. Frustriert erhob
sie sich und meinte, sie gehe jetzt wohl doch lieber nach Hause. Zu Sigmund
Freud. Daniel wünschte ihr noch einen schönen Abend und konzentrierte sich
wieder auf seine Recherche.
An der Tür traf Yvonne auf Pete, der aus der Rechtsmedizin
zurückkam.
»Hey, Yvonne, gut, dass du da bist. Wir gehen gleich alle â¦Â«. Doch
Yvonne hörte nicht zu, sie nickte nur kurz, ohne Pete dabei anzusehen, und lieÃ
die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
»Was hast du denn mit Yvo gemacht? Die sah total frustriert aus.«
Pete streckte den Kopf zu Daniel rein.
»Sie will mit Freud reden. AuÃerdem macht sie sich ânen Kopf wegen
Chris und Anna. Wir glauben immer, Chris hat Yvo adoptiert, aber in
Wirklichkeit ist es umgekehrt«, gab Daniel zur Antwort. Pete wusste nicht, was
er mit dieser nebulösen Information anfangen sollte, also wechselte er das
Thema. »Pack dein Laptop ein. Wir fahren in einer halben Stunde zu Chris.
Konferenz. Chris schmeiÃt eine Runde, zur Feier seiner Wiederkehr. Herd und
Volker haben per Telefon mit standrechtlicher ErschieÃung gedroht, wenn er
keinen ausgibt.«
Anna saà in ihrem Büro an der Uni und machte sich zum
Feierabend einige nachbearbeitende Notizen zum ersten Seminartag, als es an der
Tür klopfte. Martin Abendroth streckte den Kopf rein und sah zur Abwechslung
mal eher zerknirscht als selbstsicher aus. Er bat um eine Minute von Annas
Zeit. Mit Annas Erlaubnis setzte
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